»Es gibt die Liebe vielleicht, aber sie bedeutet nichts«

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Kalle
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QUELLE PRESSE: http://www.nn-online.de/artikel.asp?art=1253135&kat=48

»Es gibt die Liebe vielleicht, aber sie bedeutet nichts«
Vom »Sommernachtstraum« zum »Sturm«: Interview mit Heinz Rudolf Kunze über seine Shakespeare-Musicals

Heinz-Rudolf Kunze hat Williams Shakespeares rätselhaftestes Stück »Der Sturm« neu übersetzt und zusammen mit Heiner Lürig in ein Musical umgearbeitet, das nächstes Jahr in Hannover uraufgeführt wird. Bereits in diesem Sommer steht die Neuauflage des poetischen Rockmusicals »Ein Sommernachtstraum« bevor, später folgt die Adaption »Kleider machen Liebe oder Was ihr wollt«.

Herr Kunze, Ihr Musical »Ein Sommernachtstraum« frei nach William Shakespeare wird in diesem Sommer in den Herrenhäuser Gärten in Hannover wieder aufgeführt. Was wird anders sein?

Heinz Rudolf Kunze: Es sind nicht einfach nur Wiederaufnahmen wie bei Walt-Disney-Musicals, die in jeder Stadt in jedem Jahr gleich aussehen. Unser Regisseur Christian von Götz packt das ganz anders an. Die Leute kriegen eine völlig neue Inszenierung und keine Nostalgie. Für die Rolle der Hermia konnten wir Münchens neuen Musicalstar Milica Jovanovic gewinnen.

»Ein Sommernachtstraum« wird oft als harmloses Märchen inszeniert. Aber eigentlich ist es ein böser Kommentar zu Liebe und Sexualität.

Kunze: Für einen unvoreingenommenen, naiven Betrachter kommt bei diesem Stück ein Gedanke Shakespeares besonders heraus: Misstraue der Liebe! Es gibt die Liebe vielleicht schon, aber sie bedeutet nichts.

Die Übersetzer der Romantik haben jegliche Obszönitäten geglättet. Welche Übersetzungen waren die Grundlage Ihrer Bearbeitungen?

Kunze: Meine Übersetzungen sind ganz neu. Frank Günther, der mit seinen Shakespeare-Übersetzungen im Moment die Grundlage für viele Inszenierungen liefert, ist mir manchmal zu vorsichtig. Shakespeare war viel ordinärer. Das versuche ich zu retten. Ich glaube, ich habe nirgendwo zitiert und mir von Stück zu Stück mehr Freiheiten erlaubt. Beim »Sturm« ist es manchmal schon sehr frei.

Nächstes Jahr geht es mit »Der Sturm« weiter, die rätselhafteste Komödie Shakespeares. Warum haben Sie sich ausgerechnet für dieses schwierige Stück entschieden?

Kunze: Unsere Aufgabe besteht darin, den Spagat zu schaffen. Das heißt, das Publikum weiter mitzunehmen nach ihren Seherfahrungen mit dem »Sommernachtstraum« und »Was ihr wollt«. Wir wollen einen Anknüpfungspunkt ermöglichen, ohne an einer bestimmten Stelle stehen zu bleiben. Das mit uns und Shakespeare vertraute Publikum soll weiterkommen zu einer Komödie, die anders ist. Aber hoffentlich nicht so anders, dass es die Leute verärgert.

Ihre Neufassung des »Sturms« stellt die friesische Invasion des Weltraums dar und ist versehen mit viel trockenem friesischem Humor. Wie viel Shakespeare ist dabei übrig geblieben?

Kunze: Ich versuche jede Verfremdung mit dem Hintergedanken zu machen, dass der Alte zufrieden ist. Ich würde nie etwas gegen Shakespeare machen, weil ich nicht schlauer sein will sein als er. Ich habe das Ganze mit eigenen Farbtupfern versehen. Dass die Herzogtümer zum Beispiel nicht mehr Neapel und Mailand heißen, sondern Borkum und Baltrum, hat einen ganz konkreten Grund: Shakespeare hat sich nämlich für Geografie überhaupt nicht interessiert. Er hat seine Stücke immer an fiktiven Orten angesiedelt. Möglichst weit weg von England, damit sich kein Höfling auf die Füße getreten fühlt. Insofern waren ihm Ortsnahmen völlig wurscht.

Warum ist Shakespeare nach über 400 Jahren noch immer so beliebt, sowohl bei Schauspielern als auch beim Publikum?

Kunze: Es gibt Literaturwissenschaftler, die sagen, Shakespeare hat den modernen Menschen erfunden. Die Grundkonstellationen seiner Stücke sind heute noch anwendbar auf menschliche Gefühlslagen. Deswegen steht er als Urmodell gleich nach der Bibel an zweiter Stelle. In jedem Jahrhundert sind Künstlern zu Shakespeare neue Bilder eingefallen. Es liegt etwas Alttestamentarisches darin, wie er Figuren auf der Bühne zusammen bringt. Shakespeare ist alles andere als ausgelutscht und immer wieder neu belebbar. Den »Sommernachtstraum« hätte man eigentlich nach Sigmund Freud schreiben müssen. Aber Shakespeare hat Freud dreihundert Jahre vorweg genommen, indem er diese Doppelwesen mit der triebhaften und der hellen Seite schuf. Sollte Shakespeare irgendwann nicht mehr gespielt werden können, halte ich das für das mögliche Ende der Welt.

Shakespeare hat mit seinen Stücken immer einen Kommentar zu seiner Zeit abgeliefert. Ist das in Ihren Bearbeitungen auch beabsichtigt?

Kunze: Diese Stücke spielen in einer nicht näher definierten Zeit. Deswegen kann bei mir ein Puck auch ständig Bemerkungen machen über die Gegenwart. Es kommen auch Anspielungen und Bezüge zu Hannover und Niedersachsen vor. Ganz einfach, weil wir es für diese Region geschrieben haben.

Ein Sommernachtstraum. Premiere am 30. Juli in den Herrenhäuser Gärten in Hannover. Weitere Termine im August sowie am 2., 3. und 5. September.

Interview: Olaf Neumann

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