Spottlight #27 vom 22.4.09

eine Kolumne - das Spektrum reicht von Information, Hohn und Spott bis zu dem was uns sonst so einfällt. Scharfzüngig (oder auch mal provokativ)

Moderator: Moderators

Antworten
Thofrock
Das Original
Das Original
Beiträge: 3107
Registriert: 22 Nov 2002, 13:00
Wohnort: Northeim
Kontaktdaten:

Spottlight #27 vom 22.4.09

Beitrag von Thofrock »

Hab grad Probleme meinen Text in die Spottlight-Datei zu kopieren. Vielleicht findet ihr ihn ja auch hier:

DIE OFFENBARUNG IN DER PAPPSCHACHTEL

Oft ist das ja so eine Sache mit remasterten Alben. Es gibt da wirklich lieblos hingeklatschte Serien, wo lediglich im Masteringstudio bei der Überspielung der Lautstärkeregler nach oben gezogen wurde. Dazu gar keine oder ganz wenige Bonustitel und statt Booklet ein Faltblatt.
Sinn macht das bei 30-40 Jahre alten Sachen von Bands, deren letzte CD-Auflage ausverkauft ist, und bei Ebay Höchstpreise erzielt. Wir kennen das auf dem deutschen Markt z.B. bei Eloy, Triumvirat, Hölderlin, Tangerine Dream oder auch den Scorpions. Alben, die viele Jahrzehnte überdauert haben, und wo der Hörer froh ist, dass er was Besseres bekommt als die hundertvierundvierzig Mal runtergenudelte Vinylpressung.
Nett wäre übrigens auch, wenn Matthias Ulmer die Frühwerke von Anyones Daughter als neue Auflage in den Handel bekäme. Auch die bringen im Second.Hand-Verkauf stolze Preise.

Bei manchen Remasters fragt man sich, was die neue Auflage überhaupt soll. Z.B. bei Maahn, Kante, Blumfeld oder Lindenberg kriegt man nahezu Identisches zum noch im Markt befindlichen ursprünglichen Tonträger. Da ist das Mastering kaum nachzuvollziehen, und vom sicherlich reichlich vorhandenen Bonusmaterial wird auch nichts rausgerückt. Gut für Erstkäufer, weil das Zeug in der Regel zwischen 7 und 10 Euro über den Tisch geht, aber zu vernachlässigen für Altfans.

Und dann gibt es liebevolle Remasters, die allerdings auch gut ins Geld gehen. Bap z.B. hat den gesamten Backkatalog als Doppel-Cds wiederveröffentlicht, wo die zweite Disc nur so überquillt vor spannendem Bonusstoff. Deutschrock-Referenzwerke von Grobschnitt, Jane oder Novalis wurden sogar mitunter völlig zerlegt, und nach dem technisch machbaren restauriert, dass der Altfan in Jubel ausbricht. Das Ganze oft in relativ kleinen Auflagen, dafür aber eben auch dem kostbaren Produkt entsprechenden Preisen.


HRK-Fans neueren Datums hatten nie Probleme, ihre Sammlung zu vervollständigen. “Draufgänger” ist, wie man hört inzwischen gestrichen, aber auch noch mühelos zu bekommen. Alles Andere ist noch gelistet. Wenn sich nun also Heiner Lürig ans Werk macht, auch mal Remasters zu präsentieren, die zudem von der WEA mit stolzen Preisen versehen wurden, muss für die Daseinberechtigung einiges kommen. Denn außer einer überschaubaren Menge von Hardcorefans, dürften andere Interessenten die Alben längst daheim haben. Teilweise in Vinyl und Compact Disc sogar doppelt.

Trotzdem, liebe Leute, lohnt sich diese nun dritte Auflage von “Herz”, “Wunderkinder”, “Brille” und “Macht Musik”. Und zwar nicht nur für Hardcorefans. Auch wenn ich jetzt nicht alle 71 (!!) Titel einer Einzelprüfung unterziehen möchte, höre ich auch als nichtpassionierter Soundspezialist heraus, wie sehr ganz viele Songs durch die aufwendige Bearbeitung gewinnen. Vieles kommt ungleich prägnanter aus den Boxen, viele Stücke gewinnen an Raum, bekommen viel mehr Tiefe. Manches klingt britischer, kommt druckvoller daher, oder harmoniert sogar besser als in der Urversion. Und da der Gitarrist am Werk war, holt er nicht zufällig gerade aus den Gitarrenspuren (auch der Bass ist eine Gitarre) am meisten raus.

Es gibt tatsächlich Songs, die ich immer mehr so als Auffüller begriffen hatte, die sich nun in den Vordergrund spielen. “Brennende Hände” ist so einer. “Einfacher Mann” rockt wie neu. “Die Verschwörung der Idioten” mutiert zum plötzlich würdigen Opener. Sogar die elendig oft gehörten, und inzwischen verfluchten Sachen wie “Mabel”, “Mit Leib und Seele” oder “Wenn du nicht wiederkommst“ glänzen für ein paar Minuten frisch rausgeputzt. Hier hält der Jungbrunnen allerdings nicht so lange an.
Meine Heiligtümer wie “Kadaverstern“, “Die Sprache die sie verstehn“, “Stirnenfuss“, “Leg nicht auf”, “Fetter alter Hippie” oder “Freier Fall” beginnen regelrecht aus den Boxen rauszutanzen.

Die Arbeit an den Reglern war also wirklich famos, wohldosiert und mit Hingabe erfüllt. Da hatte einer viel Spaß bei der Arbeit.
Kommen wir zum Bonusmaterial. Über 26 Titel, verteilt auf die 4 Discs, kann man quantitativ auf keinen Fall meckern. Wer allerdings die HRK-Maxis alle besitzt, kennt manches schon, ganz davon abgesehen dass die verlängerten Varianten der ”Herz” und “Wunderkinder”-Zeit von fragwürdigem Zweck sind. Aber ganz unbekannte Stücke gab es nun mal aus den Aufnahmephasen dieser Alben nicht viel. Der Oberhammer, und damit allein das Geld des Herz-Albums wert, ist jenes “Hamburg um Vier” um das sich ja schon vage Ankündigungen rankten. Die Nummer ist einfach nur geil, woran auch der dünne Demosound nichts ändert. Ich liebe den Song und stimme in die allgemeine Ratlosigkeit ein, wieso der nicht aufs Album durfte.
Der andere, gänzlich unbekannte Song, ist ein “Macht Musik“-Demo, dass ich auch nicht aufs Album genommen hätte. Zwar grandioser Text (übrigens mit Co-Autor Thomas Bauer), aber musikalisch schwer dünn.
Toll auch die englischen Versionen. “Don´t hang up” hat einen herrlich originalgetreuen britischen Touch, “Mabel” klingt als Demo mit minimalistischeren, fast mechanisch klingenden Drums geradezu wavig, was einen irren Kontrast zu Martin Huchs Countyeingaben bildet.
Vom Livematerial ist vor allem “Das All ist deutsch”, “Ganz nah dran” und “ Der alte Herr” unverzichtbar. Und einige (nicht alle) Demos erzählen von der Entstehungsgeschichte mancher Songs.

Ein paar Sätze noch zur Ausstattung. Die Booklets wurden neu gestaltet, bzw. erweitert. Nicht alle sind so klasse geworden wie beim “Herz-Album”, wo es von O-Tönen von Heinz und Heiner wimmelt, aber alle liefern uns neue Infos, Bilder, Pässe, Tickets etc. Das Ganze ist in schöne Dig-Packs eingesteckt, die sich auch optisch von der Urversion unterscheiden. Zumal alle Cover einen hübschen weißen Rahmen bekommen haben.

Jetzt noch mal zum Preis. Ich erschrak nicht schlecht, als Amazon und JPC die Dinger im Februar zu 18,95 listeten. So gut sie geworden sind, und so hoch der ideelle Wert für uns auch ist, so absehbar ist zu dem Tarif ein schlapper Verkauf. Inzwischen ist der Preis etwas gesunken, und wenn ein paar Monate vergangen sind, wird man ihn auch an übliches Reissue-Niveau anpassen. Aber es gibt ja zum Glück auch noch die Boxversion für die Vollbedienung. Zwar ist die Bezeichnung Box für eine eher alberne Pappschachtel zu ambitioniert (und die Frage kommt auf, wieso die VÖ dieses Pappschubers erst Wochen später möglich war), jedoch zahlt man hier für das Quartett weniger als beim Kauf von 3 einzelnen Alben. Der Preis ist also sogar preiswert zu nennen. Zudem hat man ein Sammlerstück im Schrank, da Amazon das Ding exklusiv und limitiert vertreibt.

So, ich hab dann mal alles gesagt was ich sagen wollte, und gebe nur noch meiner Hoffnung Ausdruck dass ihr genug Einheiten kauft, um eine Fortsetzung wirtschaftlich möglich zu machen. Heiner hat ganz viel Lust die Arbeit fortzusetzen, und teilt uns zudem mit, dass die Aufnahmezyklen anderer Alben teilweise noch spannenderes Bonusmaterial versprechen. Das kriegen wir aber nur in den Schrank wenn die WEA mit den vorliegenden Alben Geld verdient.


So, und jetzt geht Spottlight heute mal ganz ohne Spott zu Ende. Wir sehen uns auf der Tour.

Der Franky

Zurück zu „SPOT(T)LIGHT“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast