38* Tiefenschärfe von RÄUBERZIVIL

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Kalle
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38* Tiefenschärfe von RÄUBERZIVIL

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– so jetzt erstmal richtig schütteln und ab in die Therapiestunde, bequem hinlegen…

Fakten: einige neue Musiker und die Trennung von langjährigen Wegbegleitern, neues RÄUBERZIVIL Studioalbum „Tiefenschärfe“ erscheint bereits am 27. Februar 2015 und zwar bei SPV.

Typisch - das Ende vorweg: Wir meinen nach den ersten Hörproben, dem neuen Album „Tiefenschärfe“ durch einen Untertitel „Musik für erwachsene Menschen“ auszeichnen zu müssen. Für Fans, die sich schon geraume Zeit mit HEINZ RUDOLF KUNZE und seiner Text/Musik-Kunst beschäftigen, kann man es noch mehr eingrenzen, zum Beispiel erinnerten wir uns beim „pre listening“ im Oktober in der Wedemark an den Tourneetitel 83 – „Lieder zum Weiterleben“ und nachfolgend erzählen wir auch warum.

Wukis: Hallo HEINZ - wir Wukis waren ja schon gelinde gesagt überrascht, als wir von der Neubesetzung bei Räuberzivil erfuhren. Jetzt wo das neue Ding im Kasten ist, wie geht’s denn mit den „Neuen Räuberzivilisten“?
HEINZ: Es ist echt wunderbar und perfekt. Hajo Hoffmann hat klasse gespielt und Glanzpunkte gesetzt, aber ich hatte jetzt das Gefühl Geige ist auch gesättigt und es müsste jetzt was anderes kommen. Das gute an Ralph König zum Beispiel ist, er spielt Gitarre, Mandoline, Banjo, Lap-Steel-Gitarre, quasi alles, was Saiten hat, aber setzt eben in erster Linie die E-Gitarre ein. RZ ist dadurch natürlich und es war so gewollt etwas elektrischer geworden.

Wukis: Das hört sich ja dann schon fast wie eine zweite Verstärkungsband an?
HEINZ: Nein es ist keine Ersatzband. Es klingt, dadurch das Hilko Schomerus, i.Ü. ein gelernter Percussionist, sich um den Rhythmus kümmert immer noch nach RZ und immer noch vollkommen anders als die Verstärkungsband.

Wukis: Hat Jens Carstens das Album schon gehört?
HEINZ: (lacht) Ja er hat schon ein paar Sachen gehört und ist sichtlich nervös geworden. „Gefällt ihm gar nicht!...“

Wukis: Nebenbei gefragt, was macht Jens denn im Moment?
HEINZ: Der ist bis unter die Hutschnur beschäftigt. Zum einen ist er mit Helene Fischer auf Tour und während jeder Pause ist er mit dem neuen Hörbuch „Quentin Qualle“ – Rock am Riff - beschäftigt.

Wukis: Martin Huch setzt auch einige Glanzlichter im neuen RZ-Album?
HEINZ: Nachdem er mich in der Vorbereitungsphase zur „Tiefenschärfe“ fragte: „Wieso spiele ich da eigentlich nicht mit?“ habe ich ihm geantwortet: “Ich habe mich nicht mehr getraut Dich zu fragen. Wir sind zweimal zusammengekommen und haben uns wieder getrennt. Ich ahnte nicht das du das überhaupt noch willst.“ Doch er wollte und wie… hört nur genau hin. Ich bin froh und dankbar dafür.
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Nun wurde endlich der CD-Spieler angeworfen und das neue KUNZ(T)E-Werk „TIEFENSCHÄRFE“ eingelegt. Lediglich die Titelreihenfolge war bereits festgelegt, die Abmischung und Endbearbeitung sollte noch folgen.

HEINZ: Die Texte habe ich leider nur einmal vorliegen zum mitlesen, am Besten setzt ihr euch mal zusammen. „Es sind ja Texte in gerechter Sprache.“ (lacht)

Wukis: Ihr seid also im September mit dem Einspielen fertig gewesen und was war das für ein Gefühl? Überwog die Skepsis oder war es so gelaufen, wie Du es Dir gedacht hattest?
HEINZ: Nachdem die erste Erschlagenheit nach der Produktion vorbei war, dachte ich, da steckt noch viel mehr in dieser Formation. Darauf lässt sich aufbauen. Der erste Schock wenn man fertig ist und sich die Frage stellt, was soll man denn noch mehr machen, evtl. verbessern usw. Wie kann man das noch Toppen. Aber es vergeht dann doch Gott sei dank sehr schnell und man lässt es so wie es ist.

Wukis: Also alle Probleme wie weggewischt?
HEINZ: Nein. Alleine die Titelreihenfolge zu finden war für Peter eine Riesengrübelei.
Es sind im Grunde zwei Alben auch vom Umfang her. Die Beiden sind sehr unterschiedlich vom Charakter. Das Zweite ist meiner Meinung nach ein wenig zugänglicher, griffiger irgendwie.

Wukis: Ach ja, Peter Pichl der letzte Verbliebene des „alten“ RZ ist auch begeistert?
HEINZ: Peter ist völlig besessen davon, es lässt ihn überhaupt nicht mehr los. Er hat viele Jobs in Theatern und spielt sehr viel und abends und nachts sitzt er dann bis morgens um vier.

Wukis: Du bist wohl nie zufrieden zu stellen?
HEINZ: Doch alles schön geworden, aber es ist auch enorm viel und ich mache mir ein wenig Sorgen über diese Zumutung, die man da rausdonnert in dieser schnelllebigen und unaufmerksamen Zeit. Peter Pichl meinte dann auch: „Was sollen wir denn weglassen? Die meisten Leute die das Album kaufen werden, wissen doch wie man mit deinen Alben umgeht. Es ist eine richtige Packung und viel zu verdauen.

Wukis: Doch - wir meinen auch, es ist schön geworden, das neue Kunze Baby. Gespannt sind wir auch darauf wenn ihr es dann im nächsten Jahr 2015 möglichst viel live spielt, denn ihr habt es ja noch nie zusammen gespielt.
HEINZ: Das wird ja das nächste Problem. Es lässt sich ja nicht vermeiden, dass im neuen Programm ein paar ältere Sachen drin sind, die die Leute kennen.

Wukis: Aber dann müsst ihr ja das ganze Ding auf, sagen wir mal acht Stücke zusammen dampfen.
HEINZ: Nein das machen wir nicht. Mehr als acht Stücke werden es auf jeden Fall. Zehn Stücke vom neuen Album sollten es schon mindestens sein, aber das sind Sorgen von Morgen. (lacht)

Wukis: Es sind ein paar Stücke dazwischen, wo auf der Bühne vermutlich mehr Equipment nötig ist, um das ganze wie auf der CD zu präsentieren.
HEINZ: Ja etwas mehr brauchen wir schon. Da werde ich sicher auch noch ein wenig kämpfen müssen. Was wir sicher brauchen, ist auch einen zweiten Techniker. Hilko alleine, er ist zwar sehr fleißig und baut auch gerne selbst mit auf, aber das alles schafft man nicht alleine. Es ist soviel „Gerümpel“ was er schon alleine mitbringt. (lacht)

Wukis: Daran denkt man ja auch nicht, während man eine CD einspielt, dass man später damit auf Tour geht oder?
HEINZ: Nein, man kann auch nicht die ganze Zeit mit einem Damoklesschwert aufnehmen, wir müssen so produzieren, damit es hinterher auch live umsetzbar ist und in einen einzigen Kombi passt.

Wukis: Es sind überaus viele Stilrichtungen und geniale Arrangements auf diesen beiden Platten zu finden.
HEINZ: Ja stimmt. Es ist unglaublich breit gefächert und klingt trotzdem absolut organisch. Ja, weil der Hilko es aber auch so zusammenhält. Produktionstechnisch auch eine wunderbare Arbeit.

Wukis: Ihr habt das ganze Album aber komplett getrennt voneinander aufgenommen?
HEINZ: Ja wir haben alle nacheinander gespielt. Es war eine richtige Wohnzimmerproduktion, wir haben bei jedem Zuhause aufgenommen, meine Sachen hier bis auf eine Sache, wo wir „Nichtsnutz„ einspielten. Für Flügel und einen Gesang, weil irgendwie ein Mikro kaputt war, sind wir zum Jens Bernewitz (Noah Studios Hannover) gegangen, aber auch nur einen Tag. Bässe sind bei Peter, Gitarren bei Ralph, Schlagzeug bei Hilko eingespielt und gemischt wird bei Peter Zuhause ganz schlicht und einfach. Ich bin kein Hifi-Experte, war ich auch nie, aber ich finde nicht, dass es schlecht klingt. Also ich vermisse nichts an Hifi Argumenten … bei dieser Produktion.

Wukis: Wir finden auch, dass der Charakter von RZ hier einfach super rüberkommt, es klingt phantastisch. Soviel Raum hatte das erste RZ Studioalbum dann aber doch nicht.
HEINZ: Ich meine HRDR ist eine ganz tolle Platte, die mir doch extrem viel Spaß und Freude gemacht hat. Ich finde aber auch, dass die neue CD noch einen Schritt weiter geht.

Wukis: Wird denn wie bei HRDR auch noch eine Single kommen oder bleibt alles so wie es ist?
HEINZ: Die geplante Plattenfirma SPV Hamburg ist bereit, das Produkt so zu nehmen wie es ist.

Wukis: Wie seit ihr auf das Plattenlabel SPV gekommen?
HEINZ: SPV hat so was wie Räuberzivil noch gar nicht im Programm und sie sind wohl ganz stark interessiert.

Wukis: Wie ist der Zeitplan zur Veröffentlichung?
HEINZ: Voraussichtlich Anfang Februar 2015.

die Wuki Plattenbesprechnung findet ihr hier. :P
http://www.wunderkinder.de/forum/viewto ... 297#p17298

Wukis: Der Sony ist es nicht angeboten worden?
HEINZ: Nein, aber ein Verstärkungsalbum für die Sony im nächsten Sommer 2015 ist in der Planung. Der Sonychef Deutschland, worüber ich mich sehr gefreut habe, war vor ein paar Wochen bei uns Privat zu Besuch und hat die vereinbarten Absprachen nochmals bestätigt.

Wukis: Hast Du in letzter Zeit noch Texte aus deinem Riesenoutput an andere Künstler weitergegeben?
HEINZ: Dieter „Maschine“ Birr (Pudys) will meine Sachen vertonen und er hat mir gesagt er will versuchen alle in den Griff zu kriegen.

Wukis: Da darf man ja gespannt sein. Warten wir es mal ab.
HEINZ: Und einige Texte habe ich Matthias Brodowy gegeben, dem anderen Arbeitgeber von Wolli. Er ist ein begabter Entertainer und wie er sagt, großer Fan von mir.

Wukis: Hörst Du dass mit dem Fan sein denn oft von Kollegen aus dem Business?
HEINZ: In den letzten Jahren schon öfter mal von jungen Musikern, dass sie meine Sachen doch kennen und schätzen. Das habe ich früher nicht so erfahren, da fühlte ich mich doch sehr einsam. Wo ich das schon länger kenne, ist bei den Comedians oder Kabarettisten, da kenn ich eine ganze Reihe die wirklich Fan meiner Sachen sind.

Wukis: Und weitere Pläne für das für Dich erfolgreiche 2015?
HEINZ: 2015 - das ist sicher findet kein Musical in den Herrenhäuser Schlossgärten statt.
Da muss man wohl die Entwicklung in Sachen Kultur in Hannover erst abwarten und für 2016 neu sprechen.

Wukis: Was macht der Schauspieler?
HEINZ: Doch den gibt es ja auch immer mal wieder. Im Sommer hatte ich die Ehre, gemeinsam mit ganz tollen Schauspielern eine Folge "SOKO WISMAR" zu drehen.
Am 4.2. könnt Ihr diese Folge endlich im TV sehen. Diese Dinge habe ich zwischenzeitlich auch in gute Hände abgegeben. Eine Schauspieleragentur kümmert sich darum und hat mich auch schon vermittelt zu einem jungen, schon erfolgreichen Regisseur Dietrich Brüggemann. Der Spielfilm heißt „Jesus in Brandenburg“.

„Ach nee nich – schon wieder so spät geworden – Jesus! Man verquatscht aber auch den lieben langen Tag viel Zeit und ändert man was?“
Bis Bald…tschüss und Gruß an Zuhause.

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Schreibe (Redet), was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Gnade bringe denen, die es lesen (hören).
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Re: NEU Tiefenschärfe

Beitrag von Kalle »

Bild Quantität und Qualität

Kreative Künstler sind rastlose Künstler und die mögen den Stillstand nicht. Da HRK Räuberzivil als Kontrast zur Verstärkung zur puren Selbstverwirklichung entwickelt hatte, macht er dort auch keine Kompromisse.
Nicht einmal, wenn das letzte Album von Fans und Kritikern gleichermaßen überschwänglich gelobt wurde und auch der Künstler selbst mit seiner Arbeit hochzufrieden war.
"Hier rein da raus" war ein randvolles Paket voller Ideen und Spielfreude. Die Gesamtheit aus Musikern, Begleitpersonen und Technik war ein einziger Glücksfall.
Wer nun hört, dass Kunze dieses wunderbare Konzept und sein Winning Team wieder zerlegt und ganz neu zusammenbaut, der bekommt es zwangsläufig mit nagender Skepsis zu tun. Geht hier jemand aufs Eis weil ihm zu wohl ist?

Sicher nicht. Wer die neue Platte hört, versteht schnell, dass die Räuberzivil-Geschichte mit gebotenem Instinkt so, und nicht anders weitererzählt werden musste. Auch in der Vergangenheit hatte sich das ursprüngliche Duo Kunze/Stute ja bereits Stück für Stück zum Trio und zum Quartett ergänzt, um den jeweils nächsten Schritt gehen zu können.

Nun gibt es sage und schreibe 23 neue Songs, breiter und tiefer angelegt als es mit der alten Besetzung möglich gewesen wäre, und mit einer präziseren und wärmeren Ausformung der stilistischen Spielarten. Das Spektrum an Gitarren und Schlagwerk macht die Kompositionen tragfähiger, ohne jedoch die Spielfreude zu dämpfen. Zudem hat Heinz deutlich mehr Zeit und Lust auf Klavier. Die Abkehr vom rauen, schweißtreibenden Sound des Vorgängers führt aber keinesfalls in geglätteten Perfektionismus. Wir sind hier weiter bei Räuberzivil, aber eben bei Räuberzivil 2.0

Wir bekommen ein Album, welches in der jahrzehntelangen und unzählige Alben umfassenden HRK-Discografie wiederum unvergleichlich daherkommt. Eigentlich ist nicht ein einziger Song dabei, der sich verwechseln ließe. Viele Lieder sind so frisch und prägnant, dass sie an die frühe Sturm- und Drangzeit Kunzes erinnern, als das Alleinstellungsmerkmal des Künstlers noch ein Erweckungserlebnis war. Aber genug gefachsimpelt. Machen wir uns nun an die oberflächliche Beschreibung von knapp zwei Dutzend Liedern.

Zunächst startet das Album mit drei Songs, die so oder so ähnlich auch auf dem Vorgängeralbum gelandet sein könnten. Räuberzivil 2.0 baut sich also eine Brücke und beschreitet das neue Terrain erstmal abwartend. Der erste Song ist eine Country-Ballade mit ganz viel Text. Heinz erzählt die Geschichte von Robert Limpert, den die Borniertheit eines toten Systems ums Leben brachte. Eine beklemmende Geschichte, weil wahr.

Auch der "Lügner", eine Hommage an den Texaner Townes van Zandt, den Heinz erst spät lieben gelernt hat, kommt noch weitgehend ohne neue Zutaten aus, präsentiert sich aber als wunderbar gesungene, weitgehend von einem irre gefühlvollen Bass getragene, langsame Lebensbeichte, die aufgrund sparsamer Instrumentierung vor allem in der Tiefe Raum greift. Man schmeckt den staubigen Blues förmlich. Wir hören hier bereits eine dezent wehklagende Leadgitarre, die auf dem letzten Album eine Violine gewesen wäre.

Es folgt "Komme nicht aus Alabama", ein eher unspektakulärer Blues, der Stammhörer noch stark an das Schlagwerk von Wolli Stute erinnern wird.

Bis hierhin sind wir durchaus noch in gewohntem Fahrwasser. Nun kommt aber der erste Hammer: "Rosmarin" besticht mit einem fantastischen Gitarrenarrangement, gesetzt auf ein Zusammenspiel Pichl/Schmomerus, dass wir so bei Räuberzivil sicher noch nicht hatten. Wir bekommen hier einen ganz gewaltigen Eindruck dazu, welche Bereicherung die Leadgitarre von Ralph König für Räuberzivil darzustellen vermag, weil eine andere Form von Spannungsaufbau stattfindet. "Rosmarin" entfaltet eine Eigendynamik, bäumt sich auf, fesselt den Hörer.

"So wie du bist" ist ein wunderschönes, sehr zurückgenommenes, geradezu nacktes Liebeslied, durchaus ein bisschen an "Elixier" erinnernd und auf das Wesentliche konzentriert.

Mit der nächsten Nummer hat Heinz sich sehr lange Zeit gelassen. Ein Tribut an den Südstaatenoberbefehlshaber General Lee, das ich nicht mehr aus dem Kopf bekomme. Eine zauberhafte Country-Nummer mit viel Witz und Charme. Unheimlich gut gemacht und mit einem grandiosen Stempel von Martin Huch verewigt. Nie zuvor hat mich eine Countrynummer so gepackt, was auch daran liegt, dass Country eigentlich nicht meine Baustelle ist.

Dann wird es tiefschwarz und böse: "30 Prozent" spielt auf der Basis von hämmerndem Klavier und klagender Sologitarre mit nur scheinbar abwegigen orwellschen Gedankenspielen vermeintlich elitärer Kreise. Ich meine übrigens in dem Song ein Bass-Thema aus "The Wall" erkennen zu können und habe auch ein paar Zeichentricksequenzen aus dem Film im Kopf, die mit den marschierenden Hämmern nämlich.

"Am Meer stehn" bildet das völlige Kontrastprogramm. Ein freundliches Klavier, hoher und wohlwollender Gesang und das nicht nur philosophische Bild eines einsamen Strandes. Wenn ich den federleichten Song zum Abschalten und Loslassen für die tägliche Imaginationsübung empfehle, geschieht das in vollem Ernst.

"Drunter und Drüber" verbreitet sofort wieder Hektik, beginnt mit einer atemlosen Harmonika, treibend, jagend, chaotisch. Der charakteristische Satz lautet "Die Nachspielzeit kommt schneller als man denkt". Erinnert mich übrigens ein wenig an "Draufgänger" und hätte auch eine prima Rocknummer abgegeben.

"Greif schon zu" beginnt mit einer markanten Flöte und transportiert eine mittelalterlich anmutende Lyrik, die aber zwischen ihren phrasenhaften Passagen immer wieder aus der Rolle fallende Sätze bereithält. Zwischen den Strophen meldet sich immer wieder die Flöte und setzt zum Wettstreit mit einem Gong an.

Die erste Seite schließt mit einer großartigen Klavierballade, die in der Endphase von dezenten Tubular Bells unterstützt wird. Der eigentliche Clou aber sind die findigen Percussions. Hilko Schomerus arbeitet hier nämlich unter anderem mit im Wasser schwimmenden Kürbishälften. Der Song heißt "Ein Nichtsnutz sein" und atmet lyrisch und musikalisch ganz weit.

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Eigentlich hätten wir jetzt ein klasse Album gehört und würden nun wieder von vorn beginnen.
Und wäre es ein Bandalbum mit der Verstärkung, hätte sich das Label auch ohne Frage verbeten, dass an dieser Stelle gerade mal Halbzeit ist. Aber Räuberzivil ist nicht nur der künstlerischen Unabhängigkeit wegen entstanden, sondern auch, um dem hohen Output des Songwriters HRK gerechter werden zu können und das schließt auch Doppelalben ein, die auf anderer Bühne unmöglich wären.

Die zweite Disc startet gleich mal wieder groovy drauflos: "Ponderosa" schielt zumindest textlich augenzwinkernd ein bisschen auf Dylans Klassiker "Maggies Farm", übersetzt diesen aber ins aktuelle Jahrtausend. Die Percussions weichen dem Schlagzeug und verbünden sich dem Bass mal anders, außerdem gibt es ein geiles Gitarrensolo.

"Papa hat Geld" ist eine eher schlichte Countrynummer, die sich mit den Auswirkungen der Arm/Reich-Schere auf unser Bildungssystem und seinen zunehmenden Ungleichheiten beschäftigt. Etwas überrascht hat mich, dass der Song sich plötzlich ausblendet. Da er aber nicht gerade zu meinen Lieblingen zählt, kann ich damit gut leben.

Nun bekommen wir einen echten Tango präsentiert: "Es ist schwierig" ist tatsächlich keine leichte Kost und lässt mich vorsichtig fragen, ob die zweite Disc möglicherweise das Niveau nicht ganz halten kann. Das wird sich zwar als gewaltiger Irrtum herausstellen, aber wenn diese 23 Songs lange Strecke einen kleineren Hänger haben sollte, dann würde ich ihn in diesen Minuten verorten, die hier aber auch durch sind.

"Brot aus Gold" hätte schön in die Zeit der Friedensbewegung gepasst, ist aber natürlich auch heute topaktuell. Großartige Lyrics, tolle Melodie, eine wunderbares Flötenthema und eine perfekte Ohrwurmproduktion.

Dann wird wieder Blues gegeben: "Der Tod" ist eine bizzare kleine Geschichte, deren Ausgang ähnlich überraschend kommt, wie das erneute Ausblenden des Songs. Eigentlich schade, aber es lässt sich nicht leugnen, dass gerade diese Ausblendung der kafkaesken Geschichte die Würze verleiht. Die stampfende Rhythmusabteilung steuert einfach wie in einen Tunnel und ist plötzlich weg.

"Schurkendarsteller" ist mal ein vollständig neuer Kunze. Der Song geht in die Richtung Barjazz und swingt wie die Sau. Sogar eine affencoole Trillerpfeife, die man dezent durch ein Effektgerät geschickt haben dürfte, veredelt den Song, der nebenbei einen Mord schildert, bei dem das Opfer in bizzare Dankbarkeit verfällt. Grundsätzlich macht es wenig Sinn, solch ein atmosphärisches Statement von einem Song mit Worten beschreiben zu wollen. Für mich ist es auf jeden Fall ein Song zum Verlieben.

"Willkommen liebe Mörder" ist die brisanteste und politischste Nummer, deren Deutung ich vorsichtshalber weitergeben möchte, weil ich befürchte, dass sich auch Menschen jenseits der erforderlichen Differenzierung des Songs bemächtigen könnten. Wer Heinz ein bisschen in die Pfanne hauen möchte, wird sich neben "Dreißig Prozent" noch dieses Stück dafür auswählen.

Es folgt wieder eine schnellere Ballade mit ellenlangem Text, dessen Thematik sich nicht so recht bestimmen lässt. Wenn es in "Mein Anwalt und ich" einen roten Faden gibt, dann ist das eben dieser bedauernswerte Anwalt.

Die zweite große Klavierballade weckt Erinnerungen an frühe Großtaten wie "Lisa" oder "Menschen gehen auf". Ralph König arbeitet hier tatsächlich ab der zweiten Strophe mit ähnlichen Gitarreneffekten wie Mick Franke seinerzeit und spielt ein wunderschönes Solo.

Es folgt gleich noch eine Nummer, die durch die Decke geht: "Ich möchte Scheitern" ist schwer funky und wunderbar arrangiert. In diesen sicher auch am vielseitigsten instrumentierten Song war ich auf Anhieb verknallt, zumal sich hier auch ein wunderbarer Orgelsound einfindet.

Zwischen meinem Favoriten und dem Finale gibt es nochmal einfacher strukturierten Country mit Namen "Das Problem ist". Auf die eigentlich fröhliche Grundstimmung singt Heinz aber eine ziemliche Abrechnung.

Die Schlussnummer "Tu nur was du nicht lassen kannst" ist eine traumhafte Klavierballade, in der es um das Aufbrechen von verkrusteten Strukturen und die mentale und tatsächliche Bewegungslosigkeit geht. Der Song ist umso eindringlicher und bewegender, weil hier auf jegliche Zutaten verzichtet wurde. Keine Keyboardspur, kein Bass, kein Rhythmus, nur das Klavier und ein außergewöhnlicher Gesangsvortrag, danach Stille.

Eines wird ganz klar. Das kleine Nebenprojekt, das mal vor 10 Jahren als "Bockwurst und Schadenfreude" als eine Art Kabarettprogramm mit Musik im Duo-Format begonnen hatte, ist zum Schwergewicht angewachsen. Den Vorgänger konnte man vielleicht, vor allem wegen dem Anteil an Sprechtexten, gerade noch mal als Kleinkunst durchgehen lassen, zumal das dazugehörige Liveprogramm noch ohne großen Aufwand durchs Land ziehen konnte. "Tiefenschärfe" ist keine Kleinkunst mehr. Die Arrangements sind zu ausgeklügelt, Produktion und Abmischung das Resultat experimentierfreudiger Herausstellung des Facettenreichtums. Peter Pichl, der mit Heinz u.a. auch schon die Vorproduktion des letzten Band-Albums gemacht hatte, kann diesem inzwischen traumwandlerisch sicher von den Augen ablesen und umsetzen, wie der Song sich gestalten mag.

Wünschenswert wäre jetzt noch, dass die Erfolgsgeschichte, deren Vertrieb diesmal vom großen Haus SPV übernommen wird, sich auch angemessen unters Volk bringen lässt. Sehr gespannt dürfen wir auch auf die Livepräsentation sein. Die Kürbishälften werden kaum mit auf Tour gehen, aber in zwei Kombis wird das Instrumentarium auch nicht mehr passen.

Und jetzt habt Freude damit.

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