Rotenburg / Wümme

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-Birgit-
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Beitrag von -Birgit- »

Wie schafft man es, eine Kirche so voll zu bekommen wie es sonst nur an Heilig Abend möglich ist? Ganz einfach: Man nehme einen Heinz, einen Wolfgang und einen Hajo (H&W&H), verpacke sie in "Räuberzivil" und lasse sie sich an ihren Instrumenten austoben.

Für uns wurde es nach 14 Monaten "Räuberzivil"-Abstinenz mal wieder Zeit für eine Auffrischung. Da kam es uns gerade recht, dass das Programm an einem Sonntagabend um 19 Uhr angeboten wurde. In einer Kirche! Warum nicht, das ist ja inzwischen nicht mehr ungewöhnlich. Also: Es war die Stadtkirche Rotenburg, die ihr 4. Stiftungskonzert veranstaltete. Um nachfolgenden Generationen das religiöse, kulturelle und diakonische Erbe der Kirche zu erhalten, musste einmal wieder der Grundstock aufgefüllt werden.

Die Kirche war mit weit über 500 Sitzplätzen bestückt und beim Betreten kurz vor 18 Uhr fragte ich mich, wie voll es werden würde. Die letzten Klänge des Soundchecks waren gerade verstummt, da wurden wir auch schon hereingelassen. Unsere Plätze fanden wir auf der Empore, gegenüber vom Altar, vor dem die Show stattfinden würde. Es war eine schöne Kirche, gerade erst renoviert.

Nach und nach füllten sich die Bänke mit Menschen. Alle Generationen waren vertreten. Ein HRK-Fan war mit seinem sehr jugendlichen Nachwuchs da, und auf der Empore habe ich auch ein paar Omis entdeckt, die nicht den Anschein machten, als wären sie wegen des angekündigten Programmes da. Kurz vor 19 Uhr war die Kirche rappelvoll! Das war klasse, so hatten wir es uns für H&W&H gewünscht. Wir nahmen unseren Platz auf der Empore ein - weit entfernt vom Geschehen - und ich hätte mich in den Allerwertesten beißen können, weil ich meine Sehhilfe (das Fernglas, mit dem man sogar Schweißperlen sieht) nicht dabei hatte. So mussten wir uns mit der Fernsicht begnügen, die aber auch ihren Reiz hat.

Mit einem Intro starteten Wolli und Hajo, gefolgt von "Immer für dich da", zu dem dann auch Heinz vor dem Altar - also auf der Bühne - erschien. Das Räuberzivil-Programm ist so aufgebaut, dass sich Text und Lied ständig abwechseln. Die Texte erschienen mir wieder so neu, dass ich vermute, man wird sie erst in dem im September erscheinenden neuen Buch finden. Das Publikum musste sich sehr anstrengen, die gesungenen und gesprochenen Worte zu verstehen. Besonders auf der Empore gab es einen Hall, der die schnellen Passagen zu unverständlichem Kauderwelsch machte: "bltunnmtsch ..." sollte wohl "Blut und Matsch" heißen. Die schlechte Akustik der ersten Halbzeit führte dazu, dass allein auf der Empore rund 30 Zuhörer das Weite suchten. Und bei einigen, die genau hingehört hatten, sah man blankes Entsetzen und Kopfschütteln, bevor sie aufstanden und gingen. Na ja, wer die Texte von Heinz nicht kennt, ihre Bissigkeit, der mag sich getroffen fühlen. Selbst Schuld, wer 30 Euro ausgibt und den Abend dann doch auf dem Sofa verbringt!

Alle, die durchgehalten hatten, wurden reichlich belohnt. Nach der Pause war der Sound in Ordnung und alle konnten aufatmen. Auch die Veranstalter, die auf die Anlage schimpften und die der Meinung waren, die Tonqualität hätte man doch während des Soundchecks besser einstellen können, sahen sehr viel entspannter aus. Dass die Anlage durchaus von guter Qualität ist und dass die Akustik in einer Kirche ganz anders ist als in einem Konzertsaal, muss ich wohl hier nicht weiter ausführen. Genug davon - am Ende war´s dann ja alles wunderbar und die Leute waren schlichtweg begeistert von der Darbietung.

In einem der Texte fand ich mein Schicksal bestätigt: Da ging es um nichts. Genauer um NICHTS! Kennt Ihr das auch? Ihr sitzt auf dem stillen Örtchen, verrichtet Euer Geschäft, greift zum Klopapier - greift ins Leere! Weil da nichts ist! Kein Blättchen, nichts! Also, wenn ich das zu Hause erlebe, könnte ich jedes Mal an die Decke gehen. Der Nachschub befindet sich meilenweit entfernt. Sehr witzig! Genau das bringt Heinz in dem Text zum Ausdruck. Sehr alltagstauglich!

Professionell war das Zusammenspiel der verschiedenen Instrumente. Das Trio harmoniert perfekt. Und die Spielfreude der Drei sieht man auch aus größerer Entfernung. Meine Lieblingslieder an diesem Abend waren "Alaska Avenue" (einfach nur schön!), "Regen in Berlin" (meine Einstiegsdroge, damals, als ich noch Schülerin war), "Rückenwind" (das Lied, von dem ich mir einbilde, es wurde nur für mich geschrieben), "Leg nicht auf" (tolle Trio-Version!), "Abschied muss man üben" (passt in so eine schöne Kirche), "Meine eigenen Wege" (weil das Publikum da so richtig abgeht) und "Was haben wir angerichtet" (neu, bislang unveröffentlicht und sehr schwungvoll. Die Leute, die in meiner Nähe standen, waren begeistert von dem Stück).

Nach genau drei Stunden - um 22 Uhr - verklang der letzte Ton der Zugabe und wenig später war die Kirche wieder das, was sie sonst immer ist: Ein Ort der Stille ...
Thofrock
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Re: Räuberzivil am 17. Mai 2009 in Rotenburg / Wümme

Beitrag von Thofrock »

Das scheint ja eine eigenwillige Gegend zu sein, wo es sogar beim Räuberzivil "Ausreißer" gibt. Das hab ich bisher nur mal bei Lesungen in Kirchen erlebt, wenn Heinz wirklich religiöse Themen bemüht hat. Mich amüsiert das immer wieder.
Mecki
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Re: Räuberzivil am 17. Mai 2009 in Rotenburg / Wümme

Beitrag von Mecki »

PRESSE QUELLE: http://www.rotenburger-rundschau.de/red ... 4uberzivil

Man trägt Räuberzivil
Agent Provokateur: Kunze in der Stadtkirche - Von André Ricci

Respektlose Texte sind das Markenzeichen von Heinz Rudolf Kunze.
Rotenburg. Pop und Poesie bildeten für Lehrer Heinz Rudolf Kunze, der 1980 einen musikalischen Nachwuchswettbewerb gewann und seitdem auf der Bühne statt vor der Tafel steht, noch nie ein Gegensatzpaar. Er will stets beides. In Rotenburg ging seine Rechnung auf: Mal raste das Publikum – mal schwieg es.
Und die stillen Momente waren natürlich die spannenderen, jene langen Sekunden nach einem zackigen Sprechtext, in denen sich alle zu fragen schienen: Meint er, was er sagt? Eine Frage, die sich wie ein roter Faden durch Kunzes Karriere zieht. Gewaltverherrlichung ("Die Sprache die sie verstehen“), Revanchismus ("Vertriebener“), Sexismus ("Männergebet“) – die Liste der Unterstellungen und Missverständnisse ist lang. Nein, Kunze meint natürlich nicht, was er sagt. Jedenfalls nicht immer. "Agent Provocateur“ heißt nicht von ungefähr eines seiner Bücher, "glaubt keinem Sänger“ einer seiner besten Songs. Es ist die Narrenfreiheit des Künstlers, die Kunze liebt und bissig gegen alle Anfeindungen der Political Correctness verteidigt. In seinem Programm Räuberzivil, das er gemeinsam mit den Musikern Wolfgang Stute und Hajo Hoffmann als Stiftungskonzert in der Stadtkirche präsentierte, drang dieses Leitmotiv immer wieder durch. Von Politikerinnen war dort die Rede, deren "ökologischer Buße-Blick einen schwul werden lässt“ und von einem entwürdigten Arbeiter, der erst ins Elend rutscht und sich anschließend lustvoll per Attentat für die Agenda 2010 bedankt. Wortverliebt lässt sich da einer treiben, lässt auch mal seinen Gewaltfantasien freien Lauf und genießt die Grenzenlosigkeit von Sprache und Kunst. "Ich darf so etwas sagen“, stellt Kunze trotzig klar, "schließlich kandidiere ich nicht für das Amt des Bundespräsidenten.“ Das Programm bot einen reizvollen Mix zwischen Sprechtexten und Unplugged-Songs und hielt dabei manches bereit, was man bis dato nirgends zu hören bekam. So hatte der Mann mit der markanten Brille Lieder im Gepäck, die im jüngsten Album "Protest“ noch gar nicht enthalten sind. In den Sprechpassagen griff Kunze Aktuelles auf und bewies, dass die Sprachlosigkeit vieler Intellektueller gegenüber der Finanzkrise seine Sache nicht ist. Doch auch die Fans alter Nummern bekamen was auf die Ohren, etwa die Ballade "Regen in Berlin“, die Kunze 1982 verfasste, und – als erste Zugabe und besonderen Leckerbissen – das von ihm live äußerst selten gespielte Stück "Bestandsaufnahme“. Dieses Werk könnte man fast schon als historisch bezeichnen. Jedenfalls war es Kunzes künstlerischer Urknall – just mit dem Song gewann er vor nunmehr 29 Jahren jenes Nachwuchsfestival, mit dem alles begann. © Rotenburger Rundschau GmbH & Co. KG
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