Mannomann, das war eine schwere Geburt mit der EP. Vorgestern habe ich an den Rakete-Shop (nach einer Woche des Wartens) nochmal schreiben müssen, was denn jetzt ist mit der Lieferung. Kam zwar keine Antwort, aber immerhin ist das Teil jetzt endlich angekommen. Also unter einer Rakete stelle ich mir etwas flotteres vor...
Mit dem Titeltrack kann ich so gut wie nichts anfangen. Einer der schwächsten Heinzsongs aller Zeiten, signalisieren meine Brillenhalter. Die Musik ist überbieder, der Text eines Kunzes unwürdig. Nee, das ist definitief nixfürmich... Aber mein Urteil ist dreifach befangen und muss daher ausserhalb meiner Denkgrütze niemanden tangieren: ich mag nämlich keine Countrymusik, keinen Fussball und keine plumpe Häme. Von daher sei jedem, der Spass an sowas hat selbiger auch von mir heinzlichst gegönnt. Ich versenk das Ding im Trash-Ordner und verweigere jede weitere Beschäftigung damit.
Bleib Schmerz bleib - jaaaa, das ist vollgeil, so liebe ich den Heinz! Ein Loblied auf den Schmerz, das ist allein von der Idee her schon beachtlich, zudem von der Umsetzung her m.E. äusserst gelungen. Ein Text, der mir rauf und runter geht und mich insofern beglückt, als dass er den von mir seit Anfangstagen höchst geschätzten "Kunze-Effekt" aufweist: das Gefühl, dass da einer konkret auf den Punkt bringt, was mir schon ewig diffus auf der Zunge liegt. Hatte ich in dieser Intensität die letzten male bei Möglich und der Sanduhr. Die Musik betrachtend stelle ich erstaunt fest, dass mir als eigentlich-Geigen-nicht-so-Möger ausgerechnet die Fiedel grosses Vergnügen bereitet. So schön verzerrt und verwahwaht habe ich dieses Instrument höchstens mal beim Mahavishnu Orchestra wahrgenommen. Volle Gänsehaut beim Einsatz nach dem einzig wahren Freund, den ich mir leisten kann - wie der Hajo da reingeigt trifft mich genau in die Mitte. Und die instrumentale Outro dürfte meinetwegen gern noch ein paar Minuten weitergehen... Einzig der Drumsound macht mir ein bisschen Sorgen: klingt programmiert, worauf ich als Drummer nicht so stehe. Die werden Live doch hoffentlich keinen Drumcomputer bemühen??? Meine Hoffnung sind Pickups im Cajon, mittels derer diese Sounds abgerufen werden. Oder hat Wolfgang eine neue Spieltechnik entwickelt, von der noch keiner was gehört hat? Nach der Darbietung des Tom Waits Covers seinerzeit in Schöneiche, wo er auch die seltsamsten Sachen aus dem "Katzenklo" herausfingerte, traue ich ihm so einiges zu... Egal, Bleib... ist ein grosser, stimmiger, zutiefst sinnvoller Song, der mich auf allen Ebenen bestens unterhält und erbaut. Für mich schon nach dem dritten Hören ein Kunze-Klassiker, der Zeitlosigkeit ausstrahlt und den die Welt dringend gebraucht hat.
Räuberzivil ROCKT gewaltig, eine beeindruckende Visitenkarte der Kapelle. Strotzt vor wie ich finde berechtigtem Selbstbewusstsein, macht riesig Spass, spannendes Sound-Design (WahWah-Mandarine gepaart mit Brettbass - vom feinsten!) und sehr effektvoll arrangiert. Kommt Live sicher grandios rüber. Den Text höre ich mit maximalem Vergnügen, jede Zeile gefällt mir und macht mich geeeiill hochdrei auf Räuberzivil. Wenn Hier rein Da raus das hält, was hier versprochen wird (und ich habe keine Zweifel daran), dann wird das ein Höchstspass. Aber auch hier die milden Zweifel angesichts der Synthetik-Drums. Spätestens hier müssen für Wolfgang ein paar Trömmelchen extra auf die Bühne, um die Band nicht dem Diktat programmierter Beats auszuliefern. Ein Extra-Applaus für den Peter - bässten Dank für diesen beherzten Einsatz. Eine gute Entscheidung, sich einen Bassisten für dieses Projekt anzuschaffen.
Lied für Berlin - Text und Musik über jeden Zweifel erhaben, und Heinz singt zauberhaft. Ich finde etliche Zeilen, deren poetische Pracht und Macht zum kunzigsten gehören, was mir jäh begegnet ist. Dieser Mann ist ein so begnadeter Dichter - ich bin hingerissen. Die Melodie wirkt sehr vertraut und doch frischverknallt. Wie Heinz so passend singt: Alles fühlt sich an, als wärs schon immer da... Ich bin zutiefst einverstanden mit dem Lied für Berlin.
Tja - ein grossartiger Text. Aufzeigung der meisten existenziellen Probleme und Lösungsvorschläge für selbige in komprimiertester Form. Mancher mag sein Leben lang studieren, philosophieren, masturbieren, um diesen Inhalt zu erfassen, mutmasse ich mal. Diesen Text ernsthaft dikutieren zu wollen dürfte ein abendfüllendes Unterfangen hergeben für Leute, die sowas mögen. Der Vortrag ist intensiv, rhythmisch präzise, und die Pointe (wenns denn eine ist) in schönster Niedermachertradition wahrlich niederschmetternd. Richtig schön fies... Ich freue mich trotzdem darüber.
Es ist Krieg - geht tief unter die Hirnhaut und beamt einen Kloss in den Hals. Meine Fresse - was für ein Text, was für eine Musik! Fühlt sich ein bisschen an wie Kadaverstern oder der Maikäfer von den Deutschen bei der Arbeit. Erzeugt eine unangenehm ergreifende Stimmung, macht Angst, verstört nachhaltig, transportiert Trauer und Schmerz. Wow, was für ein Kunztwerk! Möchte ich auf eine Stufe mit Munchs "Der Schrei" stellen, von der Intensität her gesehen (bzw. im vorliegenden Fall gehört). Dermassen angefasst hat mich ein neues HRK-Stück schon lange nicht mehr.
Fazit: einmal Vollscheisse, fünfmal Volltreffer. Die Stücke 2-6 gehören zum besten, was ich je von Heinz gehört habe. Wobei Räuberzivil eine Sonderstellung hat wegen Beschränkung der Funktionalität eben auf diese Kapelle und nur in diesem Kontext - da aber richtig - seine Daseinsberechtigung hat. Die anderen vier ergeben ein Gesamtbild, welches mich mit allem versöhnt, was Heinz in der letzten Zeit (an meinem Geschmack) "verbrochen" hat. Es stellt eine Weiterentwicklung dessen dar, was seinerzeit mit Noch hab ich mich an nichts gewöhnt & Co. begonnen wurde - zeitlose, präzise, authentische, inspirierende Ton- und Textkunst. Ich bin ehrlich begeistert, vollauf zufrieden, tief beeindruckt.
Ich bekräftige an dieser Stelle nochmal meine These, dass es den unter Eingeweihten vielgeschmähten Schlagerheinz eben deshalb gibt, dass solche wunderbaren Ideen verwirklicht werden können. Wie um alles in der Welt sollte sowas ohne ein sicheres Grundgehalt im Nacken machbar sein? Man spürt doch den Unterschied zwischen Seele und Kalkül überdeutlich, wagt man, direkt nach Es ist Krieg die 100000 Rosen anzuspielen... (ich mach das jetzt aber nicht). Heinz ist nicht schizophren - er ist nur schlau, fleissig und überaus intelligent in der Wahl seiner Mittel. Ich finde, er macht das sehrsehrsehr gut. Und ich verwette all meine Überstunden, dass er das nicht nur aus Selbstverwirklichungsdrang heraus tut, sondern auch darauf erpicht ist, Menschen wie uns maximalen Genuss zu bereiten.
Haben wir euch nur mit Schlagern beglückt? Nein, das haben wir nicht...
Yeah!