HRK am 21.12.05 in Jena - Der Wuki-Bericht

Keine Lala.... schon etwas Besonderes

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Thofrock
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HRK am 21.12.05 in Jena - Der Wuki-Bericht

Beitrag von Thofrock »

Man sollte eigentlich verbieten, daß Besucher der Stadt aus Richtung A4 anreisen. Wer z.B. über die Bundesstrasse aus Weimar kommt, bekommt ein völlig anderes Stadtbild geboten. Und obwohl ich um die Tradition der Stadt Jena wußte, hatte ich beim häufigen Dranvorbeifahren eben auf der ungeliebten A4 eigentlich immer den Kopf geschüttelt, angesichts dieser Armada von Plattenbauten. Zwischen den beiden Ausfahrten Göschwitz und Lobeda erstrecken sie sich über ca. 4 km, und wenn man dann wirklich nach Jena hineinfährt, ist man erneut geschockt, weil diese architektonischen Wunderwerke auch in der Tiefe noch weit ins Stadtinnere eindringen. Und auch wenn es auf diesem Planeten noch weit wuchtigere Plattenbausiedlungen gibt, so sind sie nirgends so festungshaft und unübersehbar aufgetürmt wie hier.
Bei meiner Anreise war es allerdings schon fast dunkel, sodaß statt der monströsen Betonklötze ein Lichtermeer von eindrucksvollem Ausmaßen zu bestaunen war.
Die Anreise war bemerkenswert einfach, weil ich ab der Abfahrt Lobeda einfach nur geradeaus fahren mußte um zum Lutherplatz zu gelangen, wo nicht nur mein Hotel stand, sondern direkt gegenüber auch gleich der Veranstaltungsort. Der Reiner, den ich einfacherweise Kilian nenne, weil wir ihn hier schließlich alle unter diesem Namen kennen, hatte das sehr schön vorbereitet.
Inwzischen hatte sich auch Jena auf den ca. 10 km von A4 bis Lutherplatz in eine ansehnliche Stadt verwandelt, die in der Gegend um die Uni herum sogar Charme entwickelte. Nach dem Einchecken ging ich ein wenig die Gegend erkunden, und stieß nach kurzer Zeit auf einen hübschen Weihnachtsmarkt, der allerdings Sonderbarkeiten aufwies. Nach zwei, drei Ecken stand ich nämlich unvermittelt vor einer Geisterbahn, was mir auf einem Weihnachtsmarkt noch nie passiert war. Bei näherer Betrachtung fand ich noch andere Fahrgeschäfte, die sich offenbar verirrt hatten. Nicht nur, daß sie auf diesem Weihnachtsmarkt deplaziert waren, es wollte auch niemand mitfahren.
Die hervorragende Thüringer Bratwurst ist übrigens kein Klischee. Die ist wirklich gut.
Kommen wir zur Veranstaltung selbst. Tohuwabohu hat schon etwas darüber geschrieben, und Kilian hat inzwischen einen kompletten Ablaufplan eingestellt, der mir viele Informationen erspart, und mir die Möglichkeit gibt, ganz frei zu berichten.
Schon beim Betreten der Aula war ich entzückt. Nach Lesung sah das nicht aus. Ein richtiges Bühnenbild, dessen zentrales Teil, ein traumhaft schöner, uralter Schreibtisch, mit unterschiedlichsten Dingen vollgestellt war. Z.B. stand da ein richtiges altes Telefon. Eines, das auch klingelt wie ein Telefon, und wo man keine Angst haben muß, daß gleich das neue Downloadsignal von Sweety, dem Küken ertönt. Eine schöne mechanische Schreibmaschine, unzählige Bücher, Weinflaschen, Schreibtischlampen. Um den Tisch herum antike Holzkisten, an denen z.B. Schilder angebracht waren.
Und es gab einige Musikinstrumente, Mikros, Kabel, Verstärker, die andeuteten, daß die musikalischen Einlagen vielfältig sein würden. Die Beleuchtung dezent und warm. Kurzum, bereits beim Eintreten wurde man von einer Wohlfühlatmosphäre empfangen.
Da ich bereits direkt nach dem Einlass vor Ort war, konnte ich lange und ausführlich meine Blicke schweifen lassen, wärend ein junges Pärchen neben mir 10 Minuten lang den Sinn des riesigen Wandbildes über der Bühne zu diskutieren begann. Unseren Kilian erblickte ich auch, der in der Nähe der Bühne letzte Funktionsüberprüfungen bewerkstelligte. Auch die anderen Protagonisten des Abends waren offensichtlich alle schon im Raum. Ich machte eine kurze Begrüßungsrunde, und entdeckte Wolfgang Stute, den Biographen Karl-Heinz Barthelmes (der auch heute seine riesige Stoffsammlung noch zu ergänzen hoffte, und in der Tat sehr sinnvoll ergänzen konnte) und schließlich auch Heinz. Mit unserem Kilian konnte ich mich auch endlich bekanntmachen, was in der Vergangenheit mehrfach gescheitert war (in der Regel lag das an mir).
Als ich meinen Platz wieder eingenommen hatte, ging es auch fast schon los. Und es wurde wirklich ein beeindruckender Abend. Ihn mit "Lesung" zu umschreiben, wäre ihm in der Tat nicht gerecht. Daß Kilian und seine Helfer eine intensive dreimonatige Vorbereitung bestritten hatten, erfuhr ich zwar erst hinterher, konnte es aber während der Veranstaltung schon ahnen. Der Ablaufplan dokumetiert das ja auch ein wenig. Die Sequenzen, in denen Lutz Mühlfriedel als Kurt Tucholsky auftrat, wirkten fast gespenstisch authentisch. Vor allem wenn man weiß, daß Tucholsky sich in den Räumen der Universität zu jena tatsächlich bewegt hatte.
Daß Heinz und Kilian sich auf ihre Texte sehr gut vorbereitet hatten, und das auch die Auswahl der Texte ausgesprochen stimmig erfolgt war, daran kam auch kein Zweifel auf. Hatte freilich auch niemand erwartet. Trotzdem ist Lesen ja durchaus eine Kunst. Und Betonung, Tempo, Stimmhöhe, sind schließlich bestandteile, die enorm viel bewirken können. Und genau das war der Fall.
Auch die musikalischen Parts paßten hervorragend ins Gesamtkonzept. Wolfgangs Gitarreneinlagen konnten wir ja in den Lesungen schon als I-Tüpfelchen bewundern. Kilians eigenkomponierte Umsetzung des Tucholsky-Textes "Ideal und Wirklichkeit" bestach durch die Schlichtheit der selbstgespielten Orgelbegleitung, und durch den sehr ambitionierten Anspruch an die Stimme, die gemäß dem Thema des Songs im Refrain die Perfektion leicht verfehlte. Und der Block von 3 Songs des Trios um Robert Amarell war ebenfalls ein Volltreffer, und hätte Appetit auf mehr gemacht. Sehr ansprechende, deutsch getextete Songs, tolle musikalische Umsetzung an Gitarre, Klavier und Violine, sowie eine tolle Stimme des Sängers und Songschreibers. Die Krönung gab es zum Schluß, zumal die Darbietung des Werner Schneyer-Liedes nicht ursprünglich geplant, und am Nachmittag erst geprobt worden war. Heraus kam eine Umsetzung mit doppelter Gitarrenbegleitung, die dem Song ein raues Flair gab, an dem auch der Autor große Freude gehabt hätte. Zuvor hatte der Tucholsky-Darsteller Lutz Mühlfriedel nach der letzten Erzählungssequenz seiner Vita die Aula durch den Haupteingang verlassen, und durch jeden einzelnen Schritt einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Die zwar nicht ausverkaufte, aber gut gefüllte Aula, quittierte den Abend mit begeistertem Applaus, während dem alle Teilnehmer nochmal auf die Bühne mußten, ob sie wollten oder nicht. Und jeder Besucher nahm aus diesem Abend auch das Eine oder Andere mit nach Hause.
Für mich selbst war es in 2005 die 14. Veranstaltung mit Heinz. Und auch wenn ich die zeitliche Nähe außer Acht lasse, bin ich sicher, daß es die Speziellste war.



Anmerkung: Bitte auch den Ablaufplan von Kilian im gleichen Board beachten. Alle Details daraus habe ich hier ausgespart, um früher fertigzuwerden, und mich nun dem Müssiggang hinzugeben. :)

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