Im Interview: Rock-Poet Heinz Rudolf Kunze
Bad Hersfeld. Volle Kirche im Bad Hersfelder Schlippental: 150 Zuhörer applaudierten am Montagabend begeistert dem Rock-Poeten Heinz Rudolf Kunze (55), der sein Buch „Vor Gebrauch schütteln“ und Geistesblitze der lästerlichen Art vorstellte.
Für wen?: Am Büchertisch signierte Kunze seine literarische Splittersammlung, die Biografie sowie Platten und CDs. Foto: Hornickel
Unterstützt wurde der Künstler beim Röntgenblick auf die gesellschaftlichen Ratlosigkeit von Synthesizer-Gitarrist Jan Drees. Vor der Lesung, zu deren Abschluss „Brille“ noch zwei Lieder zur Gitarre spendierte, sprachen wir mit dem Künstler.
Herr Kunze, ihr Markenzeichen ist die Brille. Ist das Stil oder Notwendigkeit?
Heinz Rudolf Kunze: Ich brauche schon eine Brille, ich sehe schlecht. Das ist kein Mode-Accessoire, sondern eine Weitsichtbrille. Früher habe ich da mit wilden Exemplaren gespielt. Ich hatte welche mit Lederrand, eine Tigerbrille und eine mit Dracula auf dem Rand.
Nun tragen Sie eine gediegene Ray Ban und ziehen mit einem Roman übers Land, der den Untertitel „Kein Roman“ trägt. Wie dürfen wir das verstehen?
Kunze: Das ist ehrlich. Es wäre ziemlich vermessen, zu behaupten, es handele sich um einen Roman. Es ist eine Sammlung von Gedankensplittern, Romananfängen und -schlüssen. Also, ich spiele schon mit Romanformen. Aber zu behaupten, es sei ein Roman, das wäre Etikettenschwindel.
Sie sind heute in der eher ländlichen Kirche zu Gast, die Ihr Biograf, Pfarrer Karlheinz Barthelmes hütet. Gab es noch kleinere Gastspielorte?
Kunze: So oft ich mit meinem musikalischen Begleiter Jan Drees auftrete, sind es eher mittelgroße Locations. Es gibt aber auch ein paar Lesungen in Buchläden. Das ist dann eine etwas intimere Atmosphäre. In Hannover und Braunschweig waren die Buchläden bis zu den Regalen vollgestopft mit Leuten. Bei einer Lesung ist man zufrieden, wenn 50 Leute kommen, aber wir haben auch 300 oder 400. Das wirkt dann schon wie ein Clubkonzert.
Sie sind bekannt als Meister der literarischen Kurzform. Werden Sie jetzt alt und sahen sich genötigt einen Roman zu schreiben?
Kunze: Es ist ja kein Roman.
Da haben wir aber Glück gehabt ...
Kunze: Ich hoffe aber, dass ich das mit einem Roman auf meinem weiteren Lebensweg noch einmal hinkriege, das in eine geschlossene Prosaform zu bringen. Wobei ich aber sagen muss, für die Leute, die sich so etwas live anhören, ist dieses Sammelsurium von Kurzformen schöner, weil sie verschiedene Geschichten bekommen, weil sie lachen können und weil es nicht ein langer, gebogener melancholischer Faden ist, dem sie folgen müssen. Mir geht das jedenfalls so, dass ich bei traditionellen Lesungen schläfrig werde. Die Gefahr ist bei meiner Art Programm geringer.
Ich habe den Eindruck, dass Ihnen Ihre musikalische Vorvergangenheit mit Liedern wie „Dein ist mein ganzes Herz“ und „Marlowe, finden sie Mabel“ höchst peinlich ist. Warum zicken Sie so herum und qualifizieren Ihre Hits als Gassenhauer ab?
Kunze: Das ist mir nicht peinlich. Das sind ja Nummern, denen ich viel zu verdanken habe und die meinen Namen verbreitet haben. Aber es ist so, dass man neuere Lieder lieber spielt, die nicht so abgenudelt sind. Die alten Lieder spiele ich als Gefallen für die Menschen und als Dienstleister, aber nicht für mich selber. Bei meinen Lesungen singe ich Sachen, die mir am Herzen liegen. Am Ende gibt es schon Musik - wenn die Leute bleiben. Und die sind bislang vom Publikum auch ganz toll angenommen worden. Es muss gar nicht immer der olle Hit sein.
Welche Frage wurde Ihnen auf Ihrer Tour noch nicht gestellt ?
Kunze: Die kenne ich ja nicht. Die müssten schon Sie mir stellen. Das ist doch Ihr Job.
Jetzt haben Sie mich kalt erwischt. Werden Sie ihre Biografie, die Pfarrer Barthelmes verfasst hat, irgendwann umschreiben lassen?
Kunze: Um Gottes Willen. Ich finde, es ist eine Schandtat, wenn man in einem stimmigen, geschlossenen Werk hinterher was ändert. Das ist ja so, als ob Fundamentalisten auf fremde Religions-Denkmäler schießen. Die Biografie ist seine Sicht von mir ...
Aber Ihr Schaffen und Wirken hält ja noch an ...?
Kunze: Deswegen muss er vielleicht nochmal einen zweiten Teil schreiben. Als nächstes gibt es ein Best of von mir, wo liebe Kollegen schöne alte Sachen mit mir im Duett neu eingesungen haben und eine neues Räuberzivil mit meiner Miniband. Die ist meine Spielwiese.
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