Hallo zusammen,
zuerst der scheinbar notwendige obligatorische Hinweis - alles, was jetzt kommt, ist subjektiv, meine Meinung ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit.
Und sorry für die Länge…
Nach fast drei Wochen mit dem neuen Album wundern mich mehrere Dinge. Zum einen die im Vergleich zu vorherigen VÖs sehr geringe Zahl an Diskussionsbeiträgen und die überwiegend (sehr) kritische Beurteilung des Albums. SGVS scheint wenig zu interessieren, und wenn, dann eher negativ. Beides überrascht mich sehr, hat das Album doch bei mir den entgegengesetzten Effekt erzielt. Kein Album seit Rückenwind hat mich derart begeistert und immer wieder seinen Weg in den Player bzw. auf den Teller gefunden. Jedes Album seit 2005 hat mich eher dazu gebracht, einfach mal wieder mehr Kunze zu hören. Oft wehmütig, weil auf der aktuellen Platte nichts oder nur sehr wenig zu finden war, das auf meinen internen Best-Of-Sampler gekommen wäre.
Immer war aber die Hoffnung da, dass es sich nur um eine Durststrecke handelt, die irgendwann auch wieder endet. Als jemand, der im Erscheinungsjahr von Reine Nervensache geboren wurde, war ich zwar nicht dabei, aber rückblickend hätte ich schon zwischen 1985 und 1990 eine solche Phase gehabt, denn auch auf den in diesen Jahren erschienenen Alben gibt es für mich nur sehr wenig Reizvolles zu finden. Ja, ich traue es mich zu sagen; Wunderkinder ist das HRK-Album, das ich wohl am seltensten hervorhole… Aber dann kam Brille. Und die unglaubliche (und leider seit Jahren scheinbar vergriffene) Draufgänger und und und… Deshalb habe ich Heinz immer die Treue gehalten. Nur wurde die Phase diesmal immer länger und länger, bis zuletzt auf Deutschland nur noch der Kakadu übrig blieb, den ich wirklich vollkommen liebe und bis heute abfeiere wie sonst nur Sachen von 81-84. Aber der war ja bezeichnenderweise nur ein Bonustrack auf einer limitierten Edition. Nein, sorry, ein Bonustrack auf der limitierten MSD-Version der limitierten Version.
Auch bei mir war die zunehmende Schlagerhaftigkeit nicht nur der Songs sondern in erster Linie der Produktion ein Faktor für diese Entfremdung von aktuellerem Material. Dieser, ich sage es mal positiv, zurückhaltende und neutrale Sound hat für mich auf dem Original begonnen und wurde dann bis zur Gunst immer prägnanter. Nichts bricht mal wirklich aus. Selbst Soli wurden so in den flachen Gesamtsound eingebettet, dass sie kaum wirklich herausstachen. Im Sound von DGDS würde mir wahrscheinlich selbst mein Heinz-Song für die Ewigkeit, Lebend kriegt Ihr mich nicht, irgendwie fad vorkommen. Ab Stein vom Herzen hatte ich das Gefühl, dass zumindest der Sound wieder ein bisschen mehr atmen konnte und nicht alles zu Brei gemixt war. OK, songtechnisch war da für mich bis auf wenige Ausnahmen noch nicht so viel dabei, aber es war ein Aufwärtstrend zu erkennen. Naja, dann Deutschland, auf dem zum ersten Mal Stücke außerhalb der typischen Promo-Nebelkerzen-Songs waren, die ich nicht zuende hören konnte. Viel klang auf mich irgendwie ungelenk, Text und Musik ein wenig gewollt kombiniert, ohne den Flow, den ich von HRK gewohnt war, leider für meine Ohren teilweise hart an der Peinlichkeit vorbeischrammend. Immer noch besser als Ahr-Beitn und Ich möchte anders sein fallen mir spontan ein.
Jedenfalls war ich diesmal in erster Linie gespannt auf das neue Album, weil ich mir vom Labelwechsel neue Impulse erhofft hatte. Irgendwie war die Sony-Zeit für mich sehr unrund mit unausgewogenen Alben, schwer nachvollziehbarer Kiewelpromo und pseudo-massenkompatiblem Sound. Daher war ich sehr froh zu lesen, dass diese Jahre jetzt vorbei sein sollten. Und siehe da - ein (in meinen Ohren) wirklich gutes HRK-Album, das zudem lang genug ist, immer noch ein 50-minütiges Werk zu sein, wenn man die obligatorischen Carstens-Chartschielgraupen wegkürzt. Für mich bleiben nach der Kürzung immer noch 11 Songs über, die ich wirklich gerne höre. Einige davon sind sogar wirkliche Highlights. Wann hat es zuletzt einen Song wie Wie tut man denn sowas gegeben? Für mich ist in Text, Melodie, Arrangement und Produktion dieses einen Songs mehr Kunze (was Kunze für mich ausmacht) als in vielen der letzten Alben komplett. Insgesamt KLINGT diese Platte plötzlich wieder. Es gibt Soli, man hört, dass die Band einen hauptamtlichen Keyboarder hat (und einen phänomenalen noch dazu) und nicht nur jeder in der Band nebenbei noch ein Paar Flächensounds unter den Gesamtbrei gemischt hat. Es gibt wieder Ideen, wirkliche Arrangements, einen luftigeren Sound, der nach einer richtigen Band klingt und nicht wie am Rechner mit Plugins gebaut. Und - es gibt größtenteils wieder richtig kunzige Texte.
Es gibt natürlich auch Flacheres, Schlagerlastigeres. Ja, das gibt es. Leider. Ich gehöre auch zu denjenigen, die für dieses Genre absolut nichts übrig haben. Es freut mich, wenn Menschen Begeisterung für Musik haben und diese ihnen etwas gibt. Und wenn das Schlager ist, dann ist mir das immer noch lieber, als wenn jemand überhaupt keinen Bezug zu Musik hat. das ist mir immer irgendwie suspekt. Aber - ich möchte damit nichts zu tun haben. Prog, Metal, Songwriter, Elektronik gerne. Schlager nein. Ach ja, die neue Amorphis ist einfach nur sehr gerechtes Brett.
Ich fühle mich musikalisch sehr auf einer Wellenlänge mit einem „Deutschrocker“, der auf seiner (alten) Homepage regelmäßig Alben zeigt, die ihn beeinflussen oder beeinflusst haben. Da sind Yes, Genesis, Dylan, Pink Floyd, Gabriel, R.E.M., Bright Eyes, Mars Volta, Radiohead und viel anderes, großartiges Zeug dabei. Ach ja, er ist auf dieser Seite mit Neil Young abgebildet. Ich komme gerade nicht darauf, wie der Typ heißt… Trägt ne Brille…
Ach ja. Kunze!
Ich glaube, genau hier liegt das Problem. Heinz war NIE ein „normaler“ Liedermacher, Deutschrocker oder welche Bezeichnung man auch immer wählen möchte. Sein Ansatz war immer anders und darauf war er auch (so wirkte es zumindest) stolz. Wer hat sonst 1983 den kommerziellen Erfolg von BAP nach dem Wechsel zur EMI mit gleichzeitigem Versuch, alternativ zu bleiben, kritisch angesprochen? Wer hat sonst in den glückstaumelnd-blauäugigen Wendejahren einen Song wie Verraten und verkauft veröffentlicht? Wer hält Schilder hoch, auf denen Geist ist geil steht? Wer geht selbst zum Fernsehgarten in Hardrock-Bandshirts, lässt sich für Doku-DVDs vor einem Sideboard mit CD-Boxen von Jethro Tull bis CAN interviewen, zählt Einflüsse von Davies bis Stockhausen auf? Heinz. Noch nie habe ich ihn in einem Interview über den großen Einfluss deutschsprachiger Trivialmusik schwärmen hören. Deswegen fällt es vielen von uns so schwer, zu akzeptieren, dass er uns an längeren Tagen gerne tausendmal Millionen von Rosen vertickt. Weil man MERKT, dass es eine reine Kommerzanbiederung ist, die nichts mit seiner musikalischen Leidenschaft zu tun hat.
Und das Schlimmste ist - es nützt ja nichts! Langfristig wird es nur zur immer weiteren Entfremdung der Altfans führen. Warum wohl sonst wird selbst hier über das Album maximal ein Zehntel dessen geschrieben, was noch 2009 bei Protest der Fall war? Ich habe es an anderer Stelle schon geschrieben, ich glaube, es würde kommerziell gesehen mehr Sinn machen, mit Matthias Ulmer eine kompromisslose 3-Song-Konzept-Progplatte mit sperrigen Texten rauszuhauen, als sich regelmäßig im Schunkelfernsehen zum Horst zu machen. Da kann man ironische AC/DC-Shirts tragen, wie man will. Die Zielgruppe wird das nicht verstehen. Und man darf auch nicht vergessen, dass solche songgewordenen trojanischen Pferde wie die Rosen oder tausendmal doch keinen langfristigen Effekt haben. Da wird vielleicht einmal ein Album gekauft. Aber spätestens bei Schieß ist doch wohl bei den Meisten Fernsehgärtnern Ende der Aufmerksamkeit.
Das ist der Kayleigh-Effekt von Marillion. Wieviele Käufer von Misplaced Childhood, die das Album wegen der Single gekauft haben, fanden wohl Blind Curve so richtig geil und haben zwei Jahre später Clutching at Straws gekauft, nur weil das eine Lied so toll war? Ich hätte ne Schätzung. Nein, das Gegenteil ist der Fall. Bis heute meinen die meisten Leute doch, die gäbe es schon Jahrzente nicht mehr. Die damaligen Fans hat man verschreckt, kurzzeitig Neue dazugewonnen, die sich dann aber (vielleicht, weil bei ihnen Musik auch nicht so eine zentrale Rolle spielt, wie bei vielen hier) schnell wieder verloren haben und übrig bleibt ein „Ach, das sind doch die mit diesem einen Lied…“. Das war übrigens 1985 und erinnert mich an einen deutschen Sänger, der im gleichen Jahr… Wir hatten das alles schon. OK, auf Rock am Ring-Niveau, aber es war alles schon da.
Oben wurde Regener erwähnt. Gutes Beispiel. Einfach alle 4 Jahre eine Platte mit verlässlicher Qualität raushauen, Fans halten, sich selbst treu bleiben. Komisch, die sind nach 33 Jahren immer noch bei Universal. Ohne größere Singlehit-Ambitionen. Und Sven weiht Baumärkte nur ein, weil er da Bock drauf hat.
Die Differenz von Anspruch und Wirklichkeit wird bei Heinz durch seine teilweise polarisierende Meinungsstärke (Hallo, wie viele Sprechtexte haben die oben angesprochenen Olivenplantagenbesitzer denn so in ihren Konzerten? Wie viele Bücher haben die geschrieben? Wieviele Musicals übersetzt bzw. erschaffen?) einfach viel krasser deutlich als bei jedem anderen deutschsprachigen (Song-) Autor. Das wird sich auch nicht mehr ändern. Heinz hat im Laufe der Jahre die Latte einfach zu hoch gelegt, als das man ihm jetzt klaglos einen teilweisen Niveau-Lambada einfach so abnehmen würde.
ABER: Diesmal kann man die Paar Birne-Helene-Songs einfach skippen und hat am Ende immer noch ein wirklich gutes Album, das eine Chance verdient und das, zumindest für mich, eine ganz deutliche Kurve nach oben andeutet. Alleine, dass Heinz diesmal einen Song wie Herzschlagfinale mit über 7 Minuten auf das reguläre Album gepackt hat und nicht, wie den Kakadu totexklusiviert hat, zeigt für mich die richtige Richtung. Hoffentlich bedeutet die angekündigte Veränderung nach dieser Platte nicht mehr sondern weniger Schlager. Von mir aus gerne tausendmal weniger.
Rant over.