Wesendorf

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Mecki
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Beitrag von Mecki »

PRESSE :
Unter dem Motto "Gemeinsame Sache" ist der deutsche Rockmusiker zusammen mit seinem Kollegen Purple Schulz auf Tour in Deutschland

WESENDORF. Die gewohnt schwarze Brille ziert sein Gesicht. Heinz-Rudolf Kunze kommt um 16.10 Uhr am Hotel an und bezieht das einzige Raucherzimmer. "Heutzutage haben es Raucher echt schwer", fängt der Musiker an zu erzählen.

In knapp vier Stunden steht er auf der Bühne im benachbarten Kulturzentrum - zusammen mit Purple Schulz, seinem Kollegen und Freund. "Diese Tour macht irre viel Spaß und ist eine tolle Abwechslung zu den Dingen, die ich sonst so mache", sagt der 50-Jährige und zündet sich eine Zigarette an.

Auf die Frage warum die beiden gerade in Wesendorf spielen und nicht in den umliegenden Städten antwortet Kunze: "Ganz einfach: Dort hatte ich keine Anfrage. Ich wäre auch gerne dort aufgetreten, aber ich muss von Veranstaltern gefragt werden." Dieser Herbst sei mörderisch gewesen, sagt der Künstler, seit Ende August sei er nur unterwegs gewesen. "Das habe ich in 27 Jahren als Musiker noch nicht erlebt."

Es klopft an der Tür. Kunze öffnet und umarmt Purple Schulz, der aus Köln angereist ist. Sie fangen an, sich zu unterhalten. Purple erzählt, was die Zuschauer am Abend erwartet: "Wir haben ein Programm aus seltenen Liedern zusammengestellt. Die Mischung ist echt klasse." Kunze, wieder mit Zigarette in der Hand, nickt ihm zu: "Wir haben wirklich Lieder ausgewählt, die die breite Masse nicht kennen."

Nächstes Thema: die heutige Musikszene. "Diese Castingshows sind die reinste Pest," sagt Kunze mit lauter Stimme. Es seien keine eigenständigen Talente, sondern Marionetten, die Lieder nachsingen. "Deshalb sind es auch Eintagsfliegen und können sich auf dem Musikmarkt nicht halten", sagt er wie ganz selbstverständlich.

Das Musikgeschäft sei viel schnelllebiger geworden. "Für mich wäre es heutzutage sehr schwer, hier Fuß zu fassen." Viele andere Künstler, die wie Kunze in den Achtzigern entdeckt wurden, gibt es heute nicht mehr. "Ich habe das Glück, dass die Leute mich noch hören wollen und dass ich ständig mit neuen Projekten auf Tour bin", sagt Kunze.
Thofrock
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Beitrag von Thofrock »

Party in Wesendorf

Die Gegend ist mir gut bekannt, zumal auch mein geliebter FC Eintracht zusammen mit MTV Gifhorn in der Niedersachsenliga spielt, und man ja auch auswärts schon mal mitfährt. Aufpassen muss man dort, weil die Bundesstrasse Braunschweig - Lüneburg aufgrund der größten Anhäufung stationärer Blitzanlagen in Niedersachsen berüchtigt ist.
(Tatsächlich erwischte es wirklich einen Fahrer der Kunze-Delegation auf der Anfahrt. Ich sag nicht wen, aber ich war es diesmal nicht!)

Und Wesendorf kannte ich tatsächlich auch schon. Heinz und Wolli waren nämlich vor ziemlich genau einem Jahr dort schon einmal, seinerzeit auf Lesereise. Das Schützenhaus, gelegentlich eben zum Kulturzentrum umfunktioniert, liegt genau am Ende der Hauptstrasse, die nicht enden wollend durch den Ort führt. Hundert Meter von der Eingangstür entfernt übrigens ein nobles Sporthotel, wo der örtliche Veranstalter, dann eben auch die Künstler unterbringt. Dort waren im Bistro auch Matt und Peter anzutreffen, die sich nach absolvierten Vorbereitungen für den Abend stärkten und durch die riesige Glasscheibe einigen Herren beim Tennisdoppel zuschauten. Das Doppel auf der rechten Seite war leider durch einen schwachen Aufschläger etwas benachteiligt.
Kurz nach meinem Eintreffen tauchten im Bistro auch Purple und Josef auf, die ich ja noch gar nicht kannte - jedenfalls nicht persönlich.

Der ganze Quartettauftritt war ja mein Erster. Während Kalle mir mit Troisdorf schon seit 11 Monaten den Mund wässrig machte (manchmal ruft er Nachts um halbdrei bei mir an, nur um mir zu sagen "Wärst Du doch in Troisdorf gewesen"), und mir bei den 4 weiteren Gigs immer irgendwas dazwischen kam, war ich lediglich nicht ganz unglücklich in dem komischen Achimer Autohaus nicht vor Ort gewesen zu sein. Aber Schluss mit dem nervigen Vorgequatsche, und endlich in den Konzertbericht eingestiegen.

Als das Licht im gut gefüllten Saal ausggeht, kommen zunächst mal nur 2 Leute auf die Bühne. Purple Schulz am Keyboard und Josef Piek an der Klampfe steigen ein mit "Bis ans Ende der Welt", und haben das Publikum so schnell auf Temperatur, dass bereits in der zweiten Strophe mitgeklatscht wird. Da kann ja nicht mehr viel schiefgehen. Zum zweiten Song, dem wunderschön atmosphärischen "Nur mit Dir" erscheint Wolli auf der Bühne und macht die Percussion. Danach geht Wolli wieder, und Purple kokettiert wechselweise mit der Metropole Wesendorf, und seinem Alter. Selbstironisch verlegt er seinen letzten Studiotermin ins Jahr 1987, und erklärt, dass viele seiner Songs älter sein, als der Name "Deutschrock".
Dann der Song, den jeder kennt. Aber in einer atemberaubenden Version nur mit Akkustikgitarre und Gesang. "Sehnsucht". Das Publikum hat gut zu tun. Erst die comedyartigen Erklärungen mit mehreren lachflashs, und nun dieser mit höchster Intensivität vorgetragene Song, bei dem sich Josef Piek nahezu die Seele aus dem Leib spielt. Schon richtig geil.
Wolli kommt wieder auf die Bühne und begleitet den Song "Programmänderung", nach dem etwas überraschend Purple verschwindet. Angeblich, um Heinz zu suchen. Zurück kommt er aber , nachdem Wolli und Josef den nächsten Song bereits begonnen hatten, im Schlafgewand mit Nachtmütze, und begeistert mit einer hammermäßigen Naidoo-Parodie, die ich hier nicht beschreiben kann. Die muss man sehen.

Nach dieser grandiosen Einlage und fettem Applaus erscheint nun auch Heinz auf der Bühne, und der Applaus brandet erneut auf. Purple beginnt dauafhin zu meckern, weil das unsensible Wesendorfer Publikum angeblich falsch dosiert. Heinz antwortet, das sei nur der Standortvorteil und in Köln sei es genau andersrum. Purple sagt den nächsten Song "Dumm und reich" an, und erklärt Heinz mit ironischem Seitenblick "Schön, dass Du da bis". Nächster Lachflash. Die Gitarre läßt Heinz noch stehen, steigt aber bereits mit Backing Voc und Harmonica ein. Wolli glänzt weiter als Rhythmusgeber.
Das nächste Stück heißt "Kinderleicht" und ich habe längst gemerkt, dass Purple Schulz und Josef Piek außer den 3 bis 4 Songs die man aus dem Radio kannte (Verliebte Jungs z.B. hab ich damals gehaßt - heute fehlt es auch im Programm), eine Reihe sehr schöner Stücke geschrieben haben.

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Nach "Kinderleicht" erklärt Purple dem Publikum die Konzeption der "Gemeinsamen Sache". Dass sie diese Einladungsevents eben schon mit vielen Künstlern gamacht haben, aber eben immer nur einmalig. Und dass sie Heinz und Wolli nun dauerhaft an der Backe haben würden, sei so nie geplant gewesen.
Vor der Pause gibt es noch "Gefehlt zum Glück", dann ist eine gradiose Stunde rum, die ich mir im Leben nicht so geil vorgestellt hatte. Ein Riesenspaß.

In der Pause fällt den Musikern auf, dass sie gar nicht gesagt haben, wie lang die Pause dauern soll. Man berät kurz, wie man die Leute zeitnah in den Saal holt, und Purple schleppt ohne Scheiß eine CD an, auf der sich ein langer vierstimmiger Gong befindet, der daraufhin zur Einspielung kommt.

Zum zweiten Teil kommen nun erstmal Heinz und Wolli allein, und spielen "Woran man mit mir war". Aber bereits danach halten es Purple und Josef nicht mehr in der Gaderobe aus, und sind bereits bei "Immer für Dich da" mit von der Partie. Fast alle weiteren Songs gibt es nun mit 3 Gitarren, und Purples Keyboard- und Pianobegleitung. So kräftig und voll kannte ich den Song auch noch nicht. "Naherholungsgebiet", von Heinz zuvor Osama Bin Laden und Schäuble gewidmet, groovt wie die Sau. Die Vier ergänzen sich hier nicht mit Alibieinlagen, wie man es oft bei Festivalsessions sieht, sondern geben den Songs ein ganz neues Gefühl. (Heinz: Die haben sich richtig reingeschafft") Und Josef Piek ist wirklich ein begnadeter Gitarrist, was er hier auch deshalb so schön zeigen kann, weil er sehr viel Freiraum hat. Auch anschließend beim "Letzten Hemd".
Dann mein persönlicher Höhepunkt. Auch Purple weist daraufhin, dass die nun folgende Nummer der Kunze-Lieblingssong seiner Frau ist. Und die kennt sich aus. Denn das Ding ist gerademal 25 Jahre alt, entstammt dem Album "Eine Form von Gewalt", und ist eigentlich eine der charakteristischsten Kunze-Nummern überhaupt. Live hatte ich den Song zuletzt im November 1983 im Göttinger Jugendfreizeitheim gehört, danach nie wieder. "Das Ultimatum". Atemberaubend. Wolli hier wieder am Schlagwerk. Und das Ding klingt so frisch und unverbraucht, als sei es vom neuen Album. Messerscharfe Übergänge zwischen den Storphen, dieser bedrohliche und selbstzerstörerische Text, boh...

Und noch ein Hammer hinterher. "Geh mir nah" unplugged, überhaupt noch nie gehört. Die Nummer funktioniert tatsächlich auch ohne Jörg Sanders unbeschreibliche Soli. Und wie.
Es folgt "Ende mit Dir", und schließlich die "Daced and confused-Version" von "Aller Herren Länder" mit 3 Gitarren fast schon der reine Punk.
Danach erheben sich 4 durchgeschwitzte Musiker (außer Purple, der stand schon) von ihren Sitzen und verabschiedenen sich unter dem donnernden Applaus der Wesendorfer Schützenhalle. Aber sie müssen selbstverständlich zurückkommen.

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Erste Zugabe mit Purple und Heinz. Das wunderschöne "Kleine Seen", dies ist wiederum Heinz sein Lieblingsstück aus dem Schulz-Bestand. Mitten im Song Aufruhr. Heinz singt die zweite Strophe mit irgendwie verändertem Text: "UND DANN WOLLT´ICH DIR NOCH SAGEN / PACK MAL MEINEN PIPPIMANN". Riesengelächter, ein bissiger Kommentar von Purple, der im Lärm untergeht. Heinz hält die Textvorlage in die Luft und erklärt: "Steht hier, hast Du mir aufgeschrieben". Der Song geht übrigens weiter, und macht einen Übergang in "Tränen lügen nicht". Wieder Lachflash. Und Purple zitiert aus dem Wesendorfer Generalanzeiger des nächsten Tages: "Stimmung kam erst auf, als Purple Schulz seinen Hit "Tränen lügen nicht" zu Gehör brachte". Noch größerer Lachflash. Es wächst sich zu einem Medley aus, dass nun in "Muss i denn zum Städtele hinaus" übergeht.
Dann wird es wieder ruhig und romatisch mit dem Song "Immer nur Du". Diesmal ohne Verhunzung.
Zweite Zugabe dann mit Heinz-Titeln und allen vier Musikern. "Möglicherweise ein Walzer", und, der vielleicht einzige verzichtbare Song des Abends, "Wenn du nicht wiederkommst".
Die letzte Zugabe ist deutschrockneutral, und nennt sich "Won´t get fooled again", mit Purple´s Original-Intro und einsetzendem Gitarrenfeuerwerk. Der Saal kennt längst kein Halten mehr, und der Schlußapplaus gleicht einer Explusion. Das sehr breite Publikum ist voll auf seine Kosten gekommen.

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Die Herren Künstler sind auch sehr angetan von der tollen Stimmung, und hatten Riesenspaß. Josef erzählt hinterher von der surrealen Situation, als sie vor einigen Monaten als Gäste von Pur auf Schalke gespielt haben. 60.000 Zuschauer, und dann kommt man durch die Gaderobentür in einen völlig sterilen und stillen Raum. Da ist Wesendorf irgendwie organischer. Später zieht es die Musiker auch noch nach oben, um einige Autogrammjäger zu befriedigen. Viele Besucher stehen noch in der Vorhalle und trinken was, fachsimpeln über den unerwartet schönen Abend.

Übrigens werden sicher nicht alle ca. 25 ausstehenden Quartettauftritte mit dem gleichen Set über die Bühne gehen. Auch in der Vergangenheit wurde schon sporadisch getauscht. Und die Kalauer auf der Bühne funktionieren ohnehin nur spontan. Purple und Josef haben das als rheinische Frohnaturen im Blut, aber auch Heinz hat fernab seiner Sprechtexte (die in diesem Prgramm völlig entfallen) immer die richtige Antwort. Und das hat mich eben am meisten überrascht. Dass diese Mischung aus "Till & Obel" und Heinz seiner nachdenklichen und oft preussischen Darbietungen so fett funktioniert. Aber das passt einfach. Jedenfalls in Wesendorf.

Greetings Franky

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Das Konzept "Quartettkonzert - Gemeinsame Sache" ist abermals aufgegangen - Die gold'nen Sternlein prangen - am Himmel hell und klar. (c)Matthias Claudius, 1778-
ein Feierabendbier (leider kein Kölsch) und alle sind sichtlich zufrieden.
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