Natascha hat geschrieben:
Über "Protest" kann ich aber nichts sagen. Ich kenne von dem Album nur diese Single "Längere Tage".
Dann muss ich auf jeden Fall vor all zu euphorischer Auslegung meines positiven Eindrucks warnen, denn wie schon das oben mit Kalle diskutierte Beispiel zeigt, ist der Vergleich mit dem Kunze "von früher" natürlich mit Vorsicht zu genießen.
Es gab halt eine Zeit, wo mir die Texte schon deshalb gefielen, weil ich mich und meine eigene Sicht auf die Welt darin wiederzufinden glaubte. Wenn er von "uns" und "ihnen" sang, war für mich klar, das er und ich dabei auf der selben Seite standen.
Dass sich das im Laufe der Jahre geändert hat, kann ich weder ihm noch mir zum Vorwurf machen, und dass er sich dabei vielleicht weiter bewegt hat als ich, spricht womöglich sogar eher für ihn (was ich aber angesichts seines Vorspungs an Jahren noch nicht für ausgemacht halte...).
Jedenfalls höre ich ihn heute mit anderen Ohren und Erwartungen als vor 20 Jahren, sehe in ihm kein Sprachrohr meiner Gedanken und Gefühle mehr, und deshalb ist das auch kein qualitativer Gradmesser mehr für mich.
Es ist ein schwieriges und distanziertes Verhältnis geworden, stets hin und her gerissen zwischen dem wachsenden Zweifel, ob die Mühe überhaupt noch lohnt, und der trotzdem immer wiederkehrenden, immer noch hoffnungsvolllen Neugier auf Alles, was er regelmäßig an frischem Material präsentiert.
Und da hat es PROTEST in seinem vielleicht etwas bescheideneren Anspruch als frühere Projekte plötzlich geschafft, mich wieder an die Stärken dieses Mannes zu erinnern, die mich einst so für ihn eingenommen hatten: die lakonische Beiläufigkeit; die in zunächst unaufälligen Variationen allzu vertrauter Worthülsen versteckten kleinen Zeitbomben, immer perfekt im Metrum zum scheinbar unschuldigsten Wohlklang mundgerecht serviert, um manchmal erst Jahre später, dann aber um so wirkungsvoller zu detonieren.
Wie angestrengt, abgehoben und gewollt klang dagegen so vieles in späteren Jahren, aber auch diese Sachen fanden ihren Teil des Publikums, während ein anderer sich abwandte, so dass der Künstler sich nun - positiv formuliert als Opfer seiner eigenen Vielseitigkeit - in der Zwickmühle sah, irgendwie beide Seiten bedienen zu müssen, nach dem Motto: "Wer Vieles bringt, wird Manchem etwas bringen."
Das Ergebnis waren dann leider immer öfter faule Kompromisse, worunter wieder die Glaubwürdigkeit litt.
Vielleicht rührt die kontroverse Beurteilung des Albums ja auch daher, dass er diesmal gar nicht erst versucht hat, es Allen recht zu machen, sondern einfach präsentiert, was ihm ohnehin auf der Seele und Zunge lag, worauf er eben gerade Lust hatte.
So klingt es jedenfalls für mich, auch wenn ich früheren Werken damit Unrecht tun sollte, die ich, weil sie nicht so klangen, weniger überzeugend fand.
Und weil ja hier (auch von mir) so gern Dylan ins Feld geführt wird: wie hat man dem rundum glücklichen Familienvater in ländlich-idyllischer Zurückgezogenheit seinerzeit das so unverschämt "banale" Country(!)-Album "Nashville Skyline" übel genommen!
Das war ja auf seine Art auch nichts Anderes als eine Form von PROTEST.
Und gilt heute längst als sträflich unterschätztes Meisterwerk.