Viel Beifall für den "Frauenversteher Ferdinand" Musiktheater: Deutschrocker Heinz Rudolf Kunze präsentierte sich bei seinem Auftritt in Lorsch frisch und wenig altersmilde
Lorsch. Zirka 70 Prozent der Kunze-Käufer sind Frauen. Sagt zumindest seine alte Plattenfirma. "Du bist mein ganzes Herz, du bist mein Reim auf Schmerz", sang der Mann mit der Buchhalterbrille in den achtziger Jahren. Seither hat Heinz Rudolf Kunze über 280 Songs und 27 Alben veröffentlicht. Hinzu kommen 1300 Texte, literarische Programme und Musicalübersetzungen, mit denen der Deutschrocker mit dem Intellektuellenbonus über die Jahre erfolgreich gegen die öffentliche Unkenntlichkeit gearbeitet hat.
Kurz vor der Veröffentlichung seines neusten Albums "Protest" schaute Kunze im Musiktheater Rex für ein intimes Konzertchen vorbei. Es war eine literarisch-musikalische Reise durch Kunzes Gesamtwerk, vorgetragen in einer übersichtlichen Besetzung mit Hajo Hoffmann (Violine, Mandoline) und Wolfgang Stute an Gitarre und Percussion.
Zwischen den Stücken gab es gehaltvolle Texte aus der kritischen Feder des zornigen Hauptdarstellers: Die gewohnt schwere Kost eines chronischen Moralpredigers, der es aber vortrefflich versteht, seine gesellschaftskritischen Häppchen in ein wendiges und recht amüsantes Sprachgerüst zu gießen. Kunze kommentiert das Heimatland in seiner poetisch-sarkastischen Eigenart.
Übrigens verhältnismäßig viele Herren im Rex, was die Sache mit der weiblichen Dominanz irgendwie in Frage stellt. Kunze und seine Verstärkung sind derzeit als Projekt "Räuberzivil" unterwegs. Präsentiert werden neue Interpretationen von alten Songs und neue Stücke wie das treffsicher getextete "Irrland", garniert mit satirischen und manchmal auch ein wenig wehleidigen Texten, in denen sich der Werte-Guerilla über den Zustand von Land und Leuten auslässt.
Kunze stellt sich als "Ferdinand Frauenversteher" (also doch), "Anselm Anprangerer" und "Bernhard Besänftiger" vor und trifft damit seine multiple Persönlichkeit, die letztlich aber doch ein ziemlich rundes Gesamtbild ergibt. Inmitten der wunderbar spielfreudigen Musiker kann der 52-Jährige sein pointiertes Vokabular auf die Bühne bringen und zwischen Rock und Folk, Blues und Liedermacher pendeln.
2009 klingt der pessimistische Lyriker Kunze musikalisch ausgereifter und textlich kreativer denn je. Unbarmherzig rührt er in den Wunden der zeitgenössischen Unkultur aus medialen Darmverschlüssen und politischem Durchfall, bevor er nach seinen Weltenschmerz mit schönen Liebesliedern ("Rückenwind") und hoffnungsvollen Revolutionssongs therapiert: "Träumen darf man ja mal." Dass die Guten belohnt und die Bösen bestraft werden.
Kunzes Urteil über die Abzocker, die Korrupten und die rücksichtslosen Vorteilsjäger der Welt fällt gewohnt unversöhnlich aus. Die Band spielt gegen Intoleranz, Ignoranz und die schiere Doofheit der Stammtischkommentatoren an. Ohne Deutschland, "diesen Störenfried unter den Völkern", müsste sich Kunze beinahe ein anderes Sujet aussuchen. Musikalisch geht die Reise flott über die Bühne. Hajo Hoffmann ist ein Ausbund an Virtuosität und gibt den Stücken ordentlich Fleisch, während Wolfgang Stute mit einer transparenten Gitarre überzeugen kann.
Ohnehin ist der Klang bei Kunze eher die Sättigungsbeilage für ein sprachlich vitaminreiches Hauptgericht. Heinz Rudolf Kunze hatte in Lorsch die nötige Aufmerksamkeit, ohne die seine Musik deutlich an Intensität verliert. Die nüchternen Arrangements besitzen weniger vom Pathos der frühen Jahre, auch die älteren Stücke klingen heute frischer.
Im Live-Trio beweist Kunze, dass er weder altersmilde noch toleranter gegenüber dem gesammelten Schwachsinn um ihn herum geworden ist. Die Empörung schwingt in nahezu allen Liedern mit. Kunze regt sich noch immer furchtbar gerne auf. Thomas Tritsch
Bergsträßer Anzeiger 17. Januar 2009
http://www.morgenweb.de/region/lorsch_e ... 83496.html