Quelle
http://www.musicheadquarter.de/v1/cd-re ... _1996.html
PLATTENKRITIK
Der Strassenchor
Veröffentlicht: 27.11.2009 / Ariola / Sony Music
Von: Andreas Weist
Ein schwieriges Projekt hat sich Pianist und Chorleiter Stefan Schmidt da zur Selbstverwirklichung ausgesucht. Ein Chor von der Straße im wahrsten Sinne des Wortes – ein Chor aus Obdachlosen, Hartz IV-Empfängern und sozial Engagierten. Allein von der Population wird dies eine Zusammenstellung sein, die nicht unproblematisch ist. Der neue Sender zdf_neo hat sich der Idee angenommen und eine mehrteilige Dokuserie zum Thema gedreht. "Soap" muss man heutzutage wohl sagen. Doch das Ergebnis ist angenehm unsensationell. Hier werden keine Menschen vorgeführt, der Lächerlichkeit preisgegeben oder zu Stars hochstilisiert, um sie in der nächsten Minute wieder fallen zu lassen. Stattdessen geht es um die Menschen und darum, was die Musik aus ihnen macht. In den einzelnen Folgen kommt dabei das Chorprojekt an sich, das Einstudieren von Liedern und die damit verbundene Arbeit, etwas zu kurz. Doch dafür gibt es schließlich die CD als Endergebnis, anhand derer man den Erfolg überprüfen kann.
Die Auswahl der Songs ist sehr spannend. Der Konzertpianist Schmidt hat sich keineswegs an gängiger Chorliteratur ausgerichtet, sondern Songs der Pop- und Rockgeschichte ausgewählt, wie sie auch moderne A-cappella-Gruppen in ihrem Repertoire haben. Die Zuhilfenahme instrumentaler Arrangements ist dabei sicher ein Zugeständnis an den Massengeschmack – aber auch dem Zeitfaktor geschuldet. Denn aus unausgebildeten Stimmen einen Chor zu bilden, der mehrstimmige Arrangements ohne Begleitung interpretiert, hätte dann doch vermutlich jeden vorgegebenen Rahmen gesprengt.
So erwartet uns für die CD eine Auswahl deutscher und englischer Songs, die passend zur Thematik "Verzweiflung und Hoffnung" ausgewählt wurden. So abgedroschen das erscheinen mag, so passend und angemessen finde ich doch die Auswahl.
Als Schirmherr des Projekts hat sich Heinz Rudolf Kunze eingefunden, der auch zwei Songs (nämlich "Längere Tage" und "Möglich") zur CD mit beiträgt und sich damit vom Chor im Background begleiten lässt. Mein Anspieltipp für euch soll der Coldplay-Titel "Fix You" sein, der hier mit einem genialen Tenorsolo versehen wurde und nicht nur textlich berührt.
Meine 8-Sterne-Wertung vergebe ich nicht für die musikalische Umsetzung. Das wäre Quatsch, denn die Ecken und Kanten in der Ausführung würde man einem "normalen" Chor nicht durchgehen lassen. Aber die Idee und das Ergebnis des Engagement der Wenigen, die sich für dieses Projekt hergegeben haben, ist umwerfend und zeigt eindrucksvoll, wie man die soziale Problematik angehen kann, ohne die Protagonisten an den Pranger zu stellen oder zu Abziehbildern ihrer selbst zu machen. Stattdessen werden sie als Persönlichkeiten dargestellt und mit einer Geschichte und einer Entwicklung versehen. Stefan Schmidt hat den Chor zu einer Einheit formiert, in der der Einzelne sich für die Gesamtheit zurücknehmen und doch seinen wichtigen Beitrag leisten kann. Es macht Spaß, dem zuzuhören und vielleicht wird der unbedarfte Zuhörer zum Mitsingen angeregt – auch weil er erkennt, dass nicht alles stimmlich perfekt sein muss, um schön zu klingen.
Sendetermine der noch nicht abgeschlossenen Serie: im Dezember 2009 immer mittwochs um 19.30 Uhr auf zdf_neo.