TOURTAGEBUCH 2007 Klare Verhältnisse-Intimbereich

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HenryKupfer
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Pressebericht zum Konzert in der Dresdner Semperoper, 18.02.2008:

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Vermittelt zwiespältige Gefühle: Heinz Rudolf Kunzes Konzert in der Semperoper.


Erster Apologet des neuen Biedermeier

„Ich bitte um Verständnis, doch bloß nicht ganz und gar. Am schönsten wär, wenn niemand weiß, woran man mit mir war.“ So klingt’s im Lied „Woran man mit mir war“, einem der besseren Stücke von Heinz Rudolf Kunzes aktuellem Album „Klare Verhältnisse“ (2007), mit dem er, allein und beklampft, sein Konzert in der ausverkauften Semperoper begann. Mit einem ähnlichen Programm operierte er im vergangenen Jahr bereits im Alten Schlachthof, dort allerdings mit Rockkapellenverstärkung. Einen ruhigen, sinnlich reinen „Intimbereich“ wollte er in Sempers Bau schaffen, weshalb sich zur akustischen Begleitung lediglich drei weitere Musiker neben ihm auf dem Bühnenpodest einfädelten: Heiner Lürig an der Gitarre, Matthias Ulmer am Keyboard und Martin Huch als Cowboy mit Mandoline und Lap Steel Gitarre. Musikalisch perfekt schafften sie einen Klang, der sich am wilden Ende des Spektrums mit Synthiesounds vor den 80ern und in den leisen, countryballadesken Momenten vor Johnny Cash verneigte, dabei immer hübsch harmonisch und radiotauglich arrangiert blieb, unaufgeregt, lieb und puderzuckrig.
Das alles kennt man von Kunze, da weiß man, was man bekommt, man mag es oder lässt es bleiben. Schließlich wird er eines Tages nicht wegen seiner raffinierten Musik ins kulturelle Gedächtnis befördert, sondern seiner Texte wegen, die schon immer besser waren, als viele ihm zugestehen wollen. Besonders dann, wenn er kleine Alltäglichkeiten oder die große Liebe mit Wortfäden umgarnt, die so dicht und straff gespannt sind, dass man sich staunend darin verfängt. Bei „Ich brauch dich jetzt“ und „Rückenwind“ ging der eigene Kopf wie von selbst in andächtige Schräglage, das rührende „Schlaf gut“ ist einfach nur schön.
Doch der Ruf als Schönwortschmied reicht Herrn Kunze nicht, weshalb er sich, stets einen lockeren Slogan auf den Lippen, immer wieder an politischen Themen reibt und Botschaften transportieren will, was mit zunehmendem Alter oft peinlich bis unerträglich gerät. In einem seiner vorgelesenen Texte schwimmt er auf der Welle der Angst vor Überfremdung mit, in einem anderen Text prophezeit er einem kleinen Kind, dass es bald auch ein Kopftuch tragen müsse, so wie alle, wenn die Ausländer das Land übernehmen. Abgesehen davon, dass es dann natürlich Essig wäre mit einer Deutschquote im Radio, ist dieses Bedienen von Ressentiments, selbst wenn es eine kaum verborgene, moralisch schief gerutschte Adaption von Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ und also Kleinbürgerschelte ist, auch wahnsinnig gefährlich. Denn die Biedermänner im Publikum klatschen und lachen – im besten Falle: aus Unverständnis – und Kunze lässt den warmen Zuneigungsschauer ohne Scheu und Ekel an sich herunter gleiten. Das rächt sich, denn als er später das eigentlich ironische Stück „Biedermeier“ singt, schunkelt’s und klatscht’s im Rund, als wäre Herr Kunze erster Apologet und Vorsinger dieser neuen Zeit.
Woran man mit Herrn Kunze ist, weiß man nach gut zweieinhalb Stunden tatsächlich nicht. Seiner Bitte nach Verständnis aber kann man einfach nicht nachkommen. Und um Mitleid hat er nicht gebeten.

Holger Radke
(Dresdner Neueste Nachrichten, 20. Februar 2008)

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