Kunze singt gegen Lieblosigkeit
Der Song „Längere Tage“ wurde bereits zu einem Ohrwurm. Er stammt von Heinz Rudolf Kunzes neuem Album „Protest“, das er am Montag in Rostock präsentiert. Die OZ befragte den Deutschrocker.
Rostock (OZ) Sein meistgespieltes Lied heißt „Dein ist mein ganzes Herz“. Die meisten verbinden auch „Finden Sie Mabel“ oder „Mit Leib und Seele“ mit dem Deutschrocker Heinz Rudolf Kunze (52). Andere Teile seiner Fangemeinde schwören eher auf die bissigen und intellektuellen Lieder. OZ sprach mit dem Rockpoeten, der nach Ausflügen in die Literatur und ins Musical (zuletzt „Kleider machen Liebe“, 2007 in Hannover) sein neues Album „Protest“ vorlegt. Am Montag tritt Kunze in der Rostocker Stadthalle auf.
OZ: Melden Sie sich jetzt wieder als politischer Sänger zurück?
Kunze: Sagen wir mal, als Sänger, bei dem die Außenwelt und die Gesellschaft auch vorkommen.
OZ: Immerhin heißt Ihre neue Silberscheibe „Protest“ und enthält u. a. den amerikakritischen Song „Astronaut in Bagdad“. . .
Kunze: Das Wort Protest ist von mir etwas masochistisch gewählt. Denn unter den früheren 27 Alben hat es sicher andere gegeben, zu denen das besser gepasst hätte. Mich hat eine Bemerkung von Bob Dylan, mit dem ich mich geistig verbunden fühle, dazu angeregt. Ein Journalist mahnt neue Protestlieder an. Dylan antwortet: „Alle meine Lieder sind Protest!“ Selbst ein Liebeslied protestiert – gegen die Lieblosigkeit der Welt. Mein Lied über den Irak-Krieg ist damit verglichen schon direkter.
OZ: Sehen Sie „Astronaut in Bagdad“ auch als zentrales Lied der Platte?
Kunze: Nicht so sehr. „Astronaut in Bagdad“ ist eigentlich kein Protestlied, denn ich mische mich ja gar nicht ein. Ich lasse den US-Soldaten selber reden.
OZ: Und das hat nichts mit Protest zu tun?
Kunze: Gut, sicher ist es ein Antikriegssong. Ich finde allerdings, die Jungs sehen in ihren gepanzerten Uniformen fast aus wie Astronauten, die auf dem Mond rumstapfen. Er weiß nur nicht, was er da soll, möchte lieber nach Hause. . . Nein, im Mittelpunkt der Platte sehe ich Lieder wie „Frei zu sein“ und „Längere Tage“. OZ: Das letzte ist ja inzwischen zu einem Ohrwurm geworden. Haben Sie das erwartet? Kunze: Warum nicht. Das besondere am neuen Album dürften die vielen Lieder sein, die versöhnt und glücklich klingen. Wenn man genau hinhört, geht es immer wieder darum, frei zu sein. Das ist eine Art Credo. Ich bin dafür, dass die Menschen sich so viel Eigenverantwortung und so viel Individualismus wie möglich erkämpfen und bewahren. Aber es gibt auch ein Lied über jugendliche Selbstverstümmelung („Selbst ist die Zerstörung“) oder eins über den lieben Gott („Möglich“) – das Thema ist bei mir auch immer irgendwie dabei.
OZ: Im Gegensatz zu früher spielt das Thema Deutschland diesmal keine Rolle. Oder?
Kunze: Wahrscheinlich, weil vieles, das mich bewegt, überall anzutreffen ist, nicht nur hierzulande.
OZ: Falls Sie einem Außerirdischen Deutschland erklären sollten. . .
Kunze: . . . würde ich fragen: Wozu? Ich meine, der würde doch eher nach China fliegen, oder? Aber wenn er drauf besteht: Dieses Land ist ein Kulturmix aus Marx und Wagner. Und vielleicht fühlt sich Ihr ET in Deutschland, wo die Politiker so außerirdisch argumentieren, sogar heimisch.
OZ: In „Auf einem anderen Stern“ beschreiben Sie sich als „Treibsandbaggerführer“. Klingt resignierend.
Kunze: Meinen Sie? OZ: Ja. – Musikalisch ist „Protest“ auf etlichen Dampfern zu Hause. Wie kommt das?
Kunze: Meine Begleitband „Verstärkung“ macht eben ihrem Namen alle Ehre. Die Truppe besteht aus exzellenten und kreativen Musikern. Die Musik für viele Songs stammt von unserem Gitarristen Jörg Sander und dem Bassisten Leo Schmidthals. Der hat auch „Ein besondrer Tag“ beigesteuert, ein schöner Konzerttitel. Die musikalische Spannweite reicht von Jacques Brel bis Hardrock à la Rammstein.
OZ: Sie starten Ihre Deutschlandtour in Rostock. Weil die Stadt so ganz besonders doll ist?
Kunze: So groß ist mein Einfluss auf den Tourneeplan nicht. Aber die Stadt ist auf meiner „Positivliste“. Hier hatte ich immer das Gefühl, verstanden zu werden. Als ich einmal in der Nikolaikirche Gedichte las, wurde unglaublich viel gelacht. Das entspricht gar nicht dem Image der Leute von der Küste.
Interview: GERD RICHARDT
Quelle:
http://www.ostsee-zeitung.de/mantel_kul ... e37c81a9d1