Ich bin ein Arno Schmidt

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Kalle
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Ich bin ein Arno Schmidt

Beitrag von Kalle »

PRESSE QUELLE: http://www.welt.de/print-welt/article42 ... hmidt.html

"Ich bin ein Arno Schmidt" 19. Januar 2001
Der Sänger Heinz Rudolf Kunze über das Deutsche, über Pop, Konservatismus und frühes Altern

Herr Kunze, Ihre Karriere soll 1978 mit dem Förderpreis für Literatur der Stadt Osnabrück begonnen haben. Wie sind Sie darauf gekommen, ihre sperrige Lyrik in Popsongs vorzutragen?Heinz Rudolf Kunze: Wahrscheinlich, weil man mit 13 anfängt, etwas zu schreiben und damit in seinem Freundeskreis Gefühle und geöffnete Kinnladen auslösen kann. Wenn man diese Magie spürt, kann das etwas sein, von dem man nicht mehr lassen kann. DIE WELT: Englischsprachige Musiker entgegnen meist unwillig auf Nachfragen, was ihre Texte betrifft. Warum nimmt der Deutsche seine Texte so ernst?Kunze: Dem ist ja nicht so. Ich gebe mir mit der Musik mehr Mühe als mit den Texten. Ich glaube schon, dass Musiker wie Neil Young oder Lou Reed gern wahrgenommen werden für das, was sie singen. Ich lege schon Wert auf die Feststellung, dass meine neue Platte herzustellen, nicht sie zu erfinden, ein ganzes Jahr gedauert hat. Ich beziehe mich immer noch auf angloamerikanische Vorbilder. Aber mein Beitrag besteht doch darin, dass ich meine in Deutschland einmalige Art zu formulieren mit dieser Musik verbinde.DIE WELT: Vor vielen Jahren haben Sie den Song "Lola" von den Kinks ins Deutsche übersetzt.Kunze: Einfach um meine seit langer Zeit bestehende Faszination für Ray Davies und die Kinks zu demonstrieren. Er erzählt sehr einfach, während ich anders mit Sprache umgehe. Ich bin ein Worthandwerker, zerlege gern Worte und setze sie anders wieder zusammen. Ich bin eher ein Arno Schmidt oder James Joyce.DIE WELT: Ihre Platte ist ein Panoptikum unserer Gesellschaft. Sie hasslieben dieses Land und seine Menschen.Kunze: Das tun Sie doch auch. Also, was wollen Sie von mir?DIE WELT: Eine Erläuterung dieser Hassliebe. Kunze: Ich mag unsere Sprache sehr gern. Obwohl ich glaube, wenn ich in London geboren wäre, könnte ich noch mehr erreicht haben. So muss ich mich herumschlagen mit dem, was hier läuft. Ich finde eben nicht, dass unsere Geschichte mit dem Dritten Reich anfängt. Es gab durchaus vorher eine Kultur, auf die ich als Germanist sehr stolz bin. Wenn ich mir diese unglaublichen Fantasiegewalten vergegenwärtige: Kleist oder Tieck oder Grimmelshausen, ist unser Land nicht so furchtbar, wie es häufig dargestellt wird. Es ist nur durch den Einschnitt in der Weltgeschichte eine sehr problematische Heimat. DIE WELT:: Vor fünf Jahren forderten Sie eine Zwangsquote für deutschsprachige Popmusik im Rundfunk und sicherten sich den Ruf eines Kulturnationalisten.Kunze: Es hatten viele nur darauf gewartet, mich misszuverstehen. Ich war ja nur das Sprachrohr von etwa 80 Kollegen.DIE WELT: Sie eignen sich als Pressesprecher der deutschen Rockmusik. Gibt Ihnen die Präsenz von Künstlern wie Xavier Naidoo und anderen im Radio heute Recht?Kunze: In gewisser Weise schon. Es gibt eine neue Generation, die ganz selbstverständlich mit unserer Sprache umgeht. In der Form von HipHop. Ich hatte das übrigens schon lange vor dem Quotenappell vorausgesagt: Unsere Sprache eignet sich wegen ihrer Rhythmik mehr für HipHop als das Englische und das Mittelmeerische mit seiner Melodik. Das Deutsche verfügt über viele knappe, knackende Konsonanten. DIE WELT: Ihre eigene neue Platte "Halt" klingt wie ein Soundtrack zum jüngsten Botho-Strauß-Essay. Alles geht zu schnell, erscheint Ihnen zu schlicht und flach. Herr Kunze, Sie sind ein Konservativer.Kunze: Ein Wertkonservativer. Ich schätze Botho Strauß, auch Martin Walser, sehr. Was Strauß schreibt, ist ungeheuer wichtig, und er weiß, dass er jedesmal geschlachtet wird, wenn er den Griffel hebt. Ohne diese konservativen Kommentatoren würde unserer Demokratie etwas fehlen. Auch sind sie keine Rechten, dazu sind sie viel zu intelligent.DIE WELT: Welche Werte sind es, die es zu bewahren gilt?Kunze: Fragen Sie mich das wirklich? Das wissen Sie doch selbst! In einer Zeit wie der unsrigen, wo tatsächlich alles immer schneller geht und unsicherer wird, wo man nicht nur als Musiker das Gefühl hat, dass einem der Boden unter den Füßen wegrutscht, muss man sich doch Gedanken machen über Dinge, die man festhalten sollte. Das kann dann schon dazu führen, dass man wie ich als Student linksradikal war, mit 44 aber zu anderen Schlüssen kommt. Ich mache mir in meinen Liedern Gedanken darüber, warum zwischenmenschliche Beziehungen auseinander fallen und wie es anders sein könnte. Ich sehe es täglich an meinen Kindern, 15 und 12, sie sind sehr vereinsamt. Diese Cliquen, wo man wie wir jeden Nachmittag zusammengesessen und sich die Köpfe über die neuesten wichtigen Platten von Yes und Genesis heißgeredet hat, das gibt es heute nicht mehr. Es gibt sehr wohl noch diese Platten, von Radiohead zum Beispiel. Nur die Möglichkeit, darüber mit Gleichgesinnten zu sprechen, ist nicht mehr vorhanden. Die Kinder sitzen allein vor dem Computer.DIE WELT: Die Kinder chatten und telefonieren mobil. Vielleicht diskutieren sie so Radiohead-Songs.Kunze: Kann sein, das da etwas geschieht, das ich nicht begreife, weil ich zu alt bin. Ich schreibe gegebenenfalls noch einen Brief. Die große Erzähltradition der deutschen Romantik, Hoffmann, Novalis, verschwand mit der Erfindung der Eisenbahn und der krampfhaften Industrialisierung. Das Ende war der Erste Weltkrieg.DIE WELT: Von Joschka Fischer stammt die rhetorische Frage, ob Entenhausen auch zur deutschen Leitkultur gehöre.Kunze: Mit dieser Bemerkung nimmt er Popkultur sehr wichtig. Natürlich ist Entenhausen etwas, das wir übernommen haben. Aus Amerika gewissermaßen, wie die Rockmusik. Die Frage ist doch letztlich, ob man so etwas Überfremdung nennt oder positive Beeinflussung. Rockmusik wäre Letzteres, ich nenne sie ein Grundnahrungsmittel. Es gibt aber eingeführte Bräuche, die ich ablehne. Wenn Islamisten hier Leute zum Tode verurteilen, sich also über unsere Regeln hinwegsetzen, muss sich eine Demokratie wehren.DIE WELT: Kennen Sie den Versuch, Menschen Ihres Alters als Generation der 78er zu beschreiben? Als eifersüchtige Zaungäste der 68er Revolte?Kunze: Nein, aber es trifft ja auf mich zu. Ich bin in dieser Geschichtslücke erwachsen geworden. Zu jung, um bei der RAF und zu alt, um Punk gewesen zu sein. Aber ich habe sehr viel Verständnis für die 68er, die es wirklich ernst gemeint haben. Ich hege eine tiefe Sympathie für Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin. Ich kann zwar nicht billigen, was sie getan haben. Aber wie man dazu kommt, das zu tun, kann ich gut nachvollziehen.DIE WELT: Bergen ihre metaphernreichen Texte nicht auch die Gefahr für Missverständnisse?Kunze: Ja, und?DIE WELT: Sie lassen vorsätzlich Raum für Deutungen?Kunze: Es gibt Texte, bei denen ich nicht genau weiß, was ich meine.DIE WELT: 1988 haben Sie das Lied "Das weiche Wasser bricht den Stein" von Dieter Dehm für die SPD aufgenommen. Würden Sie sich heute noch mit ihrer Kunst politisch so klar positionieren?Kunze: Dieter Dehm war einmal ein Freund von mir, und ich glaubte, ihm diesen Gefallen tun zu müssen. Ansonsten habe ich Kontakte zu Vertretern aller demokratischen Parteien. Festlegen möchte ich mich nicht.DIE WELT: Auf Ihren letzten Platten werden die Texte illusionsloser. Ist das Altersweisheit?Kunze: Alterstraurigkeit. Ich war sehr überrascht, als mein Toningenieur neulich sagte, er fände es klasse, älter zu werden. Die Dinge regelten sich, alles würde deutlicher. Ich habe ihm herzlich gratuliert. Ich finde Älterwerden einfach einen Skandal. Gottfried Benn hat wohl am besten in deutscher Sprache beschrieben, wie weh altern tut. Es gibt dafür keine Lösung. Vielleicht, wenn man gläubig ist. Ich glaube letztlich an nichts und erwarte auch nichts. Ich möchte nur solange es geht, meine Arbeit tun wie ein depressiver preußischer Offizier unter Friedrich dem Großen.Heinz Rudolf KunzeDer 44-jährige Sänger, Dichter, Germanist und Essayist Heinz Rudolf Kunze hat sein neues Album "Halt" genannt. Ihm geht das Leben zu geschwind in dieser Zeit. Er singt, dass "müde wird, wer immer aufwärts schwimmt". Auf seinem Cover nimmt er selbst als Puppe für den Aufpralltest im Wagen Platz und wird beweisen, dass der Kopf beim Aufprall auf das Lenkrad schlägt. Auf diese Art sind Kunzes Texte, die Metaphern, die er strickt, zu verstehen. Kunze spielt die armen Würstchen, die in Talkshows sitzen, die für Sex bezahlen müssen oder zu Beziehungen nicht fähig sind. Das Album "Halt" (WEA) zeigt, dass Rockmusik in Wort und Ton auch mit Bedacht konservativ sein kann.

Mit Kunze sprach Michael Pilz.
Schreibe (Redet), was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Gnade bringe denen, die es lesen (hören).
Epheser 4,29

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