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von Panic - am 20.10.2002 22:40
Straße kehren für Heinz Rudolf Kunze Posted by Robert Naumann on Oktober 17, 2002 um 05:13:55: Schade, dass ich nicht berühmt bin. Als international anerkannter und geliebter Mensch hat man es sicher in vielen Dingen leichter. Große Aufmerksamkeit wird einem zuteil. Gern wäre ich so berühmt wie Heinz?Rudolf Kunze. Eigens für den Poppoeten wurden nämlich im Jahre 1987 die Straßen der Stadt Chemnitz, damals noch Karl?Marx?Stadt, in einer drei Nächte dauernden Aktion in blitzblanken Asphalt verwandelt. Ich war noch Schüler und konnte Geld gut gebrauchen. Also bewarb ich mich um den Job und zog drei Nächte gemeinsam mit einem Dutzend anderer materiell wenig begünstigter Menschen durch Chemnitz und kehrte mit einem ganz ordinären Besen den Staub vom Highway. Das ist kein Witz! Ein bisschen traurig war ich dann schon, als Heinz Rudolf Kunze zu seinem Auftritt in Chemnitz anreiste und kein Wort des Dankes über seine Lippen kam. Immerhin hatte ich drei Nächte geschuftet, damit sich dieser Möchtegernkünstler die Schuhe nicht schmutzig machte. Was bildete der sich eigentlich ein? Kaum hatte er ein paar Platten verkauft, schon empfand er es scheinbar als vollkommen normal, dass eine gesamte Stadt nur für ihn zur keimfreien Zone wird. Wäre ich berühmt, würde ich mich nicht scheuen, den frisch gekehrten Straßenboden zu küssen und meinen Dank laut in die Welt hinauszurufen. Oder ich würde mich, natürlich verkleidet, unters Volk mischen und selbst den Besen schwingen. Die Sympathie der weiblichen Fans wäre mir gewiss. Superstars wie Heinz Rudolf Kunze oder Michael Jackson haben eine sehr große weibliche Fangemeinde. Obwohl ich ein hervorragend aussehender, brillanter junger Poet bin, haben Frauen die Angewohnheit, mir stets fern zu bleiben. Das liegt daran, dass ich nicht berühmt bin. Wüssten die Frauen, dass ich Schriftsteller bin, würden sie keine Hemmungen kennen und alles daran setzen, mich näher kennen zu lernen. Leider können sie es nicht wissen, da noch kein Buch von mir erschienen ist. Vielleicht sollte ich zu einem Trick greifen. Ich lasse meine Geschichten binden und trage sie stets als kleines Büchlein bei mir. Ich setze mich in ein Café neben eine vorzüglich aussehende junge Dame und beuge mich nach vorn, um mir den Schnürsenkel zu binden. Ganz zufällig fällt dabei mein Buch aus der Tasche. Ich hebe es auf und sage laut und deutlich: "Oh, soeben ist mir mein neuester, von mir selbst verfasster Erzählband entglitten. Falls Sie, junges Fräulein, darauf bestehen, einen Blick hineinzuwerfen, so wäre ich durchaus nicht abgeneigt, Ihnen das Werk für ein paar Minuten zu überlassen. Ansonsten will ich es schnell wieder wegstecken, denn nichts liegt mir ferner, als damit zu protzen, ein Dichter zu sein. " Leider hat das Fräulein eine Lese- und Rechtschreibschwäche und darum mit Büchern nichts am Hut. Vielleicht sollte ich auch fordernder sein. Ich gehe in ein Café und suche ein Mädchen meines Gefallens. Ich knalle ihr das Buch auf den Tisch und sage: "In bin in dreißig Minuten wieder da. Bitte versuchen Sie, sich bis dahin einen Eindruck von der literarischen Qualität des von mir selbst geschriebenen Buches zu verschaffen. " Sind die dreißig Minuten um, und ich betrete das Cafe erneut, ist das Mädchen verschwunden, und mein Buch ist mit einer Widmung verse-hen: "Mein Name ist Kunze und mein Vater Heinz Rudolf Verglichen mit der literarischen Qualität der sehr einfühlsamen Songtexte meines Vaters verursachen Ihre anfängerhaften Schreibversuche jedem anspruchsvollen Literaturfreund Brechreiz. Sollten Sie glauben, mit diesem Schund berühmt zu werden, und hoffen, dass ganze Ortschaften extra für Sie gereinigt werden, so haben Sie sich bitter getäuscht. Kunze." So etwas ist nicht vorhersehbar. Wie aber sind dann Heinz-Rudolf Kunze und Michael Jackson berühmt geworden? Oder Stephen King? Oder Gunther Emmerlich? Früher waren die Schriftsteller zu Lebzeiten auch nicht berühmt. Sie schickten ihre Gedichte ihren Geliebten, die sie aufbewahrten. In einem späteren Jahrhundert wurden sie dann gefunden und, knallbummpeng!, waren die Dichter berühmt. Natürlich haben sie nichts mehr davon gehabt, denn sie waren bereits tot. Zu ihren Lebzeiten waren das genauso arme Schlucker wie ich. Vielleicht sind auch sie in Cafes herumscharwenzelt und haben versucht, junge Mädchen von ihren Schreibkünsten zu überzeugen. Sicher hatten sie es schwerer als ich, denn damals war die Lese- und Rechtschreibschwäche eine weit verbreitete Krankheit. Dennoch haben sie eine Geliebte gefunden. Im Gegensatz zu mir. Hätte ich eine Geliebte, wäre der Weg zum Ruhm nur eine Frage der Zeit. Sorgsam und gewissenhaft müsste sie meine Arbeiten korrigieren und täglich bei einem Verlag vorsprechen. Dort bräuchte sie nur ein wenig mit dem Verleger zu flirten, und schon hätte ich einen Vertrag in der Tasche. Heutzutage macht man das so. "Der Ruhm eines Schriftstellers führt über die Betten der Verleger", hat mal ein sehr bekannter Schriftsteller gesagt. Wäre ich dann berühmt, könnte ich mich vor Groupies kaum retten. Scharen von zahnspangentragenden Teenagern hätten einen lebensgroßen Bravo-Starschnitt von mir im Kinderzimmer hängen und würden schuleschwänzend vor meiner Villa in Berlin?Zehlendorf herumlungern. Ab und zu trete ich auf den Balkon und hebe lässig Zeige? und Mittelfinger zum Gruß, worauf ein ohrenbetäubender Lärm ausbricht. Kuschelweiche Teddybärchen, an denen kleine Schleifen mit Liebesbriefchen befestigt sind, fliegen mir um die Ohren. Ab und zu wähle ich willkürlich einen der Briefe aus, um ihn zu lesen. Pubertierende dreizehnjährige Schulmädchen unterbreiten mir darin unanständige Angebote. Entrüstet zerreiße ich die Briefe, schreibe mir aber vorsichtshalber die Telefonnummern der Mädchen heraus. Täglich werden Orgien mit erlesener internationaler Promi-nenz gefeiert. Heinz Rudolf Kunze nebst Tochter haben auf meiner Gästeliste allerdings keinen Platz. Von einem ehemaligen Freund der Familie Kunze erfahre ich, dass sich Heinz Rudolf die Stimmbänder ruiniert und sein gesamtes Vermögen verjubelt hat. Ich kann eine gewisse Genugtuung nicht verhehlen. Als ich einmal nach Hamburg zu einer Lesung fahre und spätabends ankomme, sehe ich eine Kolonne Straßenfeger, die mit ganz ordinären Besen die Straße fegt. Mit Leichtigkeit kann ich unter ihnen Heinz Rudolf und Tochter ausmachen. Schnippisch fasse ich Heinz Rudolf an die Wange und sage. "Na, wird schon wieder, was! " Danach breche ich in lautes Gelächter aus und begebe mich in mein Hotelzimmer, um mich eventuell mit einem Groupie zu vergnügen. Es liegt mir fern, mich mit anderen großartigen Künstlern zu vergleichen. Allerdings besitze ich die Unverfrorenheit zu behaupten, dass ich es mindestens ebenso wie Heinz Rudolf Kunze verdient hätte, dass man für mich die Straßen kehrt.
Straße kehren für Heinz Rudolf Kunze
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Epheser 4,29
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